Die Erbsünde
wenn.«
Robby warf ihm einen wissenden Blick zu.
3
Eine ruhige Straße, Bäume und säuberlich gestutzte Hecken, dahinter gepflegte Gärten. Es war dunkel, nur hier und da fiel der Schein einer Straßenlaterne auf die Sträucher, aber Deon konnte sich vorstellen, wie es bei Tageslicht aussehen mochte. Kinderstimmen würde man hier kaum hören, denn dies war einer der Vororte, in denen man sich nach der Pensionierung niederlässt, um nach einem gutbürgerlichen Leben einen gutbürgerlichen Lebensabend zu verbringen: Bankbeamte, die es nie zum Direktor gebracht hatten, höhere Angestellte, Geschäftsleute, die nie Riesenfirmen gegründet hatten. Man war einer von den vielen gewesen, die jeden Morgen mit dem Zug zur Arbeit fuhren, jeder in seiner gewohnten Ecke, mit der Morgenzeitung, jahrein, jahraus. Bis plötzlich, ehe man sich's versah, die kleine Feier stattfand, die goldene Uhr oder der diskrete Briefumschlag mit dem Scheck, künstlich erzeugte Ausgelassenheit, eine Rede und die unbeholfenen Dankesworte; dann noch ein paar Runden mit den Kollegen, und man war draußen, stand im Freien. Gewiß, den Lebensunterhalt nahmen sie einem nicht, aber das Leben selbst; denn in den mit Geschäftigkeit angefüllten Räumen hatte man nun nichts mehr zu suchen.
Es wirkt alles eigentlich viel zu anständig hier, dachte Deon. Es war so eine Gegend, in der alte Damen sich zu Tee und Sahnekuchen trafen, würdige alte Herren zum Kegeln gingen und farbige Putzfrauen zweimal wöchentlich zum Saubermachen kamen. Hier züchtete man Rosen oder häkelte Wolltiere für das Waisenhaus, oder man sammelte Briefmarken.
Die ganze Atmosphäre stimmte nicht. Er hatte sich eine Straße in einem Slum vorgestellt, wo Rotznasen grölten und obszöne Wörter an schmuddelige Wände schmierten. Er war auf misstrauische Blicke finsterer Männer in dunklen Hauseingängen gefaßt gewesen, denen das Messer aus der Hosentasche lugte, auf holzvernagelte Fenster, üble Gerüche und verstohlene Geräusche. Statt dessen: Gardenienstraße. Alle Straßen in dieser Gegend hatten Blumennamen.
Er trat aus dem Schatten der schönen alten Eiche, unter der er die letzten zehn Minuten beobachtend und unschlüssig gestanden hatte. Schließlich überquerte er die Straße. Nummer fünfzehn war, wie die anderen Häuser, von einer gestutzten Hecke umgeben. Das Haus lag halbverborgen hinter Sträuchern, zwischen denen ein gewundener, mit Kies bestreuter Pfad zur Haustür führte. In einem Fenster brannte Licht.
Das Gartentor öffnete sich, ohne zu quietschen, und er ging über den Pfad zum Haus. Seine Schritte kamen ihm hallend entgegen, als gehe jemand vor ihm. Ein breites, altmodisches Portal mit dicken Säulen. Er stieg vorsichtig die spiegelblanken Stufen hoch und ging über die glatten Fliesen zur Haustür, die von Farngewächsen in Kübeln eingerahmt war. Der Messing-Türklopfer hatte die Form eines Delphins, aber es gab auch einen elektrischen Klingelknopf. Ihm war noch immer höchst merkwürdig zumute. Etwas stimmte nicht; es war das falsche Haus, die falsche Zeit.
Er drückte auf die Klingel und hörte es tief im Hausinnern schellen. Er wartete. Hohe Buntglasscheiben zu beiden Seiten der Tür reflektierten das Licht von der Straße.
Er wartete. Nichts geschah. Das Licht im Haus, das er durch die Sträucher gesehen hatte, brannte noch. Er klingelte wieder, noch einmal, das ferne Schellen hallte wie rasch aufeinander folgende Gongschläge. Endlich hörte er schlurfende Schritte hinter der Tür. Licht wurde angeknipst, und er sah, daß die bunten Glasfenster zwei Schiffe darstellten, mit gelben, geblähten Segeln gegen ein azurblaues Meer. Die Schritte kamen näher und blieben hinter der Tür stehen.
»Wer ist da?« Eine Frauenstimme. Die Stimme einer alten Frau, mißtrauisch und undeutlich, als habe sie vergessen, ihre falschen Zähne einzusetzen.
Er hatte das Losungswort eingeübt. »Ich bin ein Freund von Peter«, sagte er. Seine Kehle war trocken, die Stimme versagte ihm, und der Name kam wie ein Hüsteln heraus. Er räusperte sich hastig. »Von Peter«, wiederholte er etwas lauter, aus Angst, sie könnte es nicht gehört haben.
Ein abwartendes Schweigen. »Ich kenne keinen Peter«, sagte die Stimme endlich. Sie klang jetzt fester. Vielleicht hatte die Frau inzwischen ihre Zähne reingetan.
»Ich komme von Peter«, sagte Deon eindringlich. »Ich soll nach Joan fragen.«
Wieder eine Pause. »Ich kenne keinen Peter. Und auch keine Joan. Machen Sie, daß
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