Die Erbsünde
Verachtung.
»Das nicht«, sagte Deon. Er versuchte, sich exakt auszudrücken. »Ich finde, daß ich es nicht tun sollte.«
»Gewiß«, sagte der Mann. Nicht einmal Gleichgültigkeit. Die Stimme war so voller Geringschätzung, als kümmere es ihn nicht im geringsten, ob die Welt mit ihm und allen anderen zum Teufel ginge. Deon hoffte, diesem Menschen nie begegnen zu müssen.
»Hören Sie mal«, sagte er, »Sie müssen es tun.«
»Gewiß. Aber Sie hätten sich nicht einmischen dürfen, jetzt kostet es mehr.«
»Na gut.« Vielleicht hatte er zu schnell eingewilligt, aber jetzt war schon alles egal.
»Gut.« Die Stimme wurde überdeutlich, so daß der Akzent fast verschwand. »Was Sie zu tun haben, ist folgendes: Sie sprechen wieder mit Ihrem Freund.«
»Meinem Freund?«
»Ihrem Freund.« Eine Spur von Feindseligkeit und neuerwachtem Misstrauen. »Dem, der Sie an uns verwiesen hat.«
»Verwiesen« war ein seltsames Wort in dem Zusammenhang. War der Fremde Arzt? Nein, es hatte keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. »Selbstverständlich«, sagte Deon. »Das werde ich tun.«
»Gut. Und ich rufe auch an, damit alles in Ordnung geht. Dann rufen Sie mich wieder an, sagen wir – in einem Monat.«
»In einem Monat?« Deon konnte das Zittern in seiner Stimme nicht verbergen. »Aber es ist doch … es ist doch schon zwei Monate.«
»Sie hätten sich eben nicht einmischen sollen«, hämmerte die Stimme unerbittlich wie eine Trommel. »Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen das Mädchen allein hinschicken.«
»Gut. Ich werde tun, was Sie sagen. Aber können Sie es nicht etwas beschleunigen?«
»Tun Sie, was ich Ihnen sage, und dann werden wir weitersehen … Rufen Sie mich am Donnerstag an. Um dieselbe Zeit.«
Deon wußte, daß er am kürzeren Hebel saß. Aber es war ihm egal. »Also gut«, sagte er unterwürfig. Es knackte hässlich in seinem Ohr, als der Mann grußlos den Hörer auflegte.
Die knappe Abfertigung schien seine Position klar zu umreißen: Die anderen gaben den Ton an, und er tanzte nach ihrer Flöte. Es verletzte seinen Stolz; aber war es nicht genau das, was er wollte? In den Hintergrund gedrängt werden? Die Entscheidungen den anderen überlassen? Er verließ das Gebäude, ging am Pförtner vorbei, der ihm einen kurzen, gleichgültigen Blick zuwarf. Jetzt war er froh, ein Niemand zu sein, einer von vielen.
Er ging an den langen, chromblitzenden Autos entlang, die auf ihren reservierten Parkplätzen standen. Auf einem von niedrigen Mauern umgrenzten Rasenrondell arbeiteten emsig die Gärtner. Hier standen Bänke, auf denen nie jemand saß. Sorgfältig, als hänge sein Leben davon ab, wählte er eine davon und setzte sich hin.
»Warum machen Sie es denn nicht selbst?« hatte die fremde Stimme verächtlich gefragt. Deon sprang auf. Er konnte nicht stillsitzen. »Warum machen Sie es denn nicht selbst?« hallte metallisch die spöttische Stimme, schepperte in seinen Ohren wie gestern die Klingel. »Warum kannst du es denn nicht machen?« hatte auch Trish ihn gefragt.
Er überquerte die Auffahrt zum Krankenhaus, ohne aufzusehen. Ein heranrasender Krankenwagen wich ihm im Bogen aus. Er sprang auf den Bürgersteig, der Fahrer hupte und fluchte. Voller Vertrauen hatte sie ihn gefragt, ihn, den Mann der Tat, tüchtig, geschickt, ein Arzt in allem, außer dem offiziellen Titel. Sie hatte mehr Weitblick, war weiser als er. Aber angesichts dieses praktischen Problems war sie hilflos. Er war der Fachmann, und jetzt wollte er kneifen. Ziellos wanderte er im Schatten der Bäume zwischen den Rasenflächen umher.
Nun, warum konnte er es denn nicht machen? Er hatte sich herauszureden versucht. Er habe nicht genug Erfahrung, wüsste wohl theoretisch, was zu tun sei, aber in der Praxis, so hatte er heiß argumentiert, in der Praxis sei das alles ganz anders. Er wolle jemanden finden, auf den Verlass sei. Sie brauchte gar keine Angst zu haben. Es sei besser, so etwas denen zu überlassen, die – nun, nicht gerade Fachleute waren, aber doch Erfahrung hatten. Die taten so was jeden Tag. Es sei ja auch weiter nichts dabei. Wirklich, Trish. Natürlich wollte man nicht zu irgendeinem üblen Patron gehen. Aber die meisten dieser Leute waren sogar Ärzte, oder zumindest hatten sie irgendeine medizinische Ausbildung. Sie wußten Bescheid mit der Asepsis und was man hinterher machte und so weiter. Er wollte alles arrangieren: das Krankenhaus, alles, und in ein bis zwei Tagen würde sie wieder auf den Beinen
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