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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
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Weg. Bescheiden mischte er sich unter die anderen Zuschauer, die wartenden Patienten.
    Die Bahre rollte schnell an ihm vorbei. Er konnte gerade noch das Gesicht des Mädchens sehen. Weiß. Kreideweiß. Das schwarze, kurz geschnittene Haar ließ ihre Blässe noch kalkiger erscheinen. Die Decke, die man über sie gebreitet hatte, war blutgetränkt. Die Krankenschwester warf ärgerlich noch eine darüber, als nehme sie Anstoß an dem Anblick.
    Die Wärter rollten ihre bleiche, reglose Last durch den Gang, gefolgt von den Schwestern und Malan. Eine Pflegerin lief voran, um die Flügeltür aufzuhalten. Dann waren sie alle verschwunden.
    Deon ging langsam zurück zur Gynäkologieabteilung. Blutsturz, dachte er, die häufigste Komplikation bei einer verkorksten Abtreibung. Wenn die Patientin nicht ganz verblutet, versagt meistens die Niere.
    Wie hieß das Mädchen? Nadine, Nerina oder so ähnlich, um die neunzehn. Er hatte ihr Foto im gesellschaftlichen Teil der Presse gesehen. Auffallend schön, mit schwarzen Augen und Haaren. Das einzige Kind, wenn er sich recht erinnerte. Dem Mann, der sie heiratete, gehörte, wenn auch nicht halb Kapstadt, so doch ein netter Brocken davon. Es würde einen Mordsskandal geben.
    Nun, da er im Schatten der Bäume vor dem massiven Portal stand, vor dem an jenem Nachmittag die Ambulanz gehalten hatte, erinnerte er sich mit erschreckender Klarheit, daß Nerina Margaret Dannhauser, achtzehn Jahre, genau vier Tage später an einem Nierenversagen gestorben war. Und wenn Patricia Coulter, die Tochter eines Apothekers, zweiundzwanzig Jahre, auch starb, würde das auch einen Mordsskandal geben? Eines stand fest: Deon Van der Riet würde mit größter Wahrscheinlichkeit nie Medizin praktizieren dürfen.
    Und das war der springende Punkt.
    Gott, hilf mir, dachte er. Und sofort: Sag bloß, du betest! Du, der du den Gott deines Vaters verspottet hast! Trotzdem: Gott, was oder wo du auch bist, wenn es dich gibt, hilf mir.
    Soll ich ihr sagen: Behalte das Baby. Es ist dein Kind, unser Kind, wenn du willst. Behalte es, und zieh es in Liebe auf, wenn ich dir auch nicht dabei helfen kann.
    Rasend vor Unentschlossenheit, rammte er die geballte Faust in die offene Handfläche. Ein schwarzer Gärtner, der mit seinem Spaten die Blumenbeete auflockerte, beobachtete ihn mit unverhohlener Neugier. Deon ging weiter und tat, als habe er den Blick nicht bemerkt.
    Warum hatte er so lange gewartet? Auch das war dumm von ihm gewesen. Hätte er gleich gehandelt, wäre alles viel einfacher gewesen. Aber er hatte immer noch gehofft, daß es ein Irrtum sei und alles sich ganz von selbst lösen würde.
    Neulich hatte sie ihm deswegen bittere Vorwürfe gemacht. Sie gingen selten aus in dieser Zeit, gelegentlich aßen sie in einem billigen Restaurant, oder sie trafen sich zu einem Kaffee. Eines Abends hatten sie in ihrer Nische des kleinen Cafés um die Ecke gesessen, vor ihnen die leergetrunkenen Tassen. Beide waren in grüblerisches Schweigen gehüllt. Trish schwenkte den Satz in ihrer Kaffeetasse und sagte brüsk: »Worauf warten wir eigentlich noch?«
    »Wie meinst du das?« versuchte er auszuweichen.
    Gereizt stellte sie die Tasse wieder hin. »Das weißt du ganz genau.«
    »Ja, ist es denn ganz sicher nötig?«
    »Nach sechs Wochen? Und geschwollenen Brüsten, morgendlichem Erbrechen? Was willst du denn noch mehr?«
    »Also gut. Ich werde es arrangieren. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen.«
    »Das hör' ich jetzt schon seit einem Monat.« Sie starrte ihn aus ihren katzengrünen Augen an. »Glaubst du, es geht von selber weg, wenn du es nur lange genug ignorierst?«
    Er bekam einen roten Kopf. »Du weißt, daß es nicht so ist. Ich mache mir genauso viele Sorgen wie du.«
    Sie lachte böse und sagte bewußt gemein: »Ja, aber nicht aus demselben Grund, mein Bester. Du hast ja keinen kleinen Bankert im Bauch wachsen.«
    Er sah sich ängstlich um, ob auch niemand mitgehört hatte, und sie fing den Blick auf und lachte gehässig. Dann stieß sie den Stuhl zurück und sagte: »Komm, gehen wir, ich bin müde.« Ich auch, dachte Deon. Weiß Gott. Lebensmüde. Je eher wir diese Sache hinter uns bringen, desto besser.
    Er saß in dem kleinen Fiat, den Robby ihm geliehen hatte, fünfzig Meter von der Ecke der Gardenienstraße entfernt. Zuerst hatte er direkt an der Ecke unter einer Straßenlaterne geparkt, aber das helle Licht hatte ihn anklagend angestrahlt wie bei einem polizeilichen Kreuzverhör in einem der zweitrangigen

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