Die Erbsünde
Flip Deon ins Ohr. »Siehst du die Felsen da links oben?«
Deon nickte.
»Dahinter werden wir uns verstecken. Wenn er rauskommt, können wir ihn im Mondlicht sehen. Folge mir jetzt leise. Und kein Wort mehr, wenn wir hinter den Felsen sind.«
Deon nickte verständig, und Flip warf ihm einen Blick des Einverständnisses zu; lautlos kletterte er den steilen Abhang hinauf. Deon folgte ihm unmittelbar; einmal stieß er mit dem Fuß gegen ein paar Steine, die polternd zu Tal rollten. Dann war wieder alles still. Vor Anstrengung und Erregung keuchend, erreichten sie die schützenden Felsen. Sie hockten sich hinter einen Block und lehnten sich gegen das raue Gestein; von hier aus konnten sie das Versteck des Schakals beobachten.
Eine Zeitlang hielt Deon die Spalte fest im Auge, aber bald verfiel er ins Träumen. Er ließ den Blick über die bläulichbraunen Felder schweifen, die sich dunstig in der flimmernden Hitze zum Horizont hin erstreckten. Die Zäune, die sein Vater zum Schutz gegen die Schakale errichtet hatte, liefen in schnurgeraden Linien darüber hinweg.
Eine plötzliche Kopfbewegung Flips ließ ihn aufmerken. Es war nur ein wildes Kaninchen, das aus seinem Bau gekommen war, um sich zu sonnen. Der Nachmittag wurde immer heißer, und Deons Beine schmerzten vom langen Verharren in derselben Stellung, also streckte er sie aus, wenn er auch jetzt die Spalte nicht mehr sehen konnte. Die Hitze machte ihn schläfrig, und er konnte nur mit Mühe die Augen offen halten. Plötzlich setzte er sich mit einem Ruck auf: er hatte geschlafen, die Sonne stand tief über der scharfen Linie des Horizonts, und sie saßen im kühlen Schatten.
Deon wurde unruhig. Er wußte, daß seine Mutter jetzt anfangen würde, sich zu ängstigen, und sein Vater, der um diese Zeit nach Hause kam, würde sich auch Sorgen machen und böse werden. Er sah Flip von der Seite an. Der hatte sich die ganze Zeit nicht gerührt, er hockte noch genauso da wie vor Stunden, den Kopf wachsam auf die Seite gelegt, Pfeil und Bogen abschußbereit auf das Knie gestützt, neben sich die offene Tabaksdose mit dem geheimnisvollen Gift.
Flip gab nicht auf, also mußte auch er bei der Stange bleiben. Die Sonne verweilte kurz, und dann war sie plötzlich hinter dem Horizont versunken, sie ließ ein schmales goldrotes Band am Himmel zurück. Dann verblich auch das, und es war dunkel, die Sterne kamen heraus. Der Mond ging auf, ein Schwarm Vögel rauschte durch die nächtliche Stille.
Deon zitterte. Er tat so, als sei es nur die Kälte. Er hatte Hunger und Durst, denn seit dem Vormittag hatten sie nichts mehr getrunken oder gegessen. Flips Gesicht war im Mondlicht ganz entrückt. Der Mond segelte ruhig durch den milchigen Himmel. Ganz hoch standen flauschige Wölkchen. Hoffentlich gibt es morgen ein Gewitter, dachte Deon. Er liebte es, wenn die dunklen, aufgetürmten Wolken langsam über die Ebene zogen und fern der Regen in schrägen Balken zur Erde fiel und er sich eben noch auf die Veranda retten konnte; und wenn heftige Windstöße die Quittenallee schüttelten, bis die dürren Blätter über den Hof tanzten und wirbelten, und wenn dann endlich die schweren Tropfen fielen und es nach Wasser auf heißem Staub roch, und wenn dann das Gewitter so richtig losging und der Regen auf das Wellblechdach prasselte.
Flip stieß ihn sanft an. Fast wäre er vor Schreck aufgesprungen. Er legte einen Finger auf den Mund und wies zum Spalt. Zuerst konnte Deon in der Dunkelheit gar nichts sehen, oder – war da nicht etwas? Nein. Doch. Doch. Eine Bewegung. Etwas hatte sich bewegt. Flip tauchte schon den Pfeil in die Dose, und noch mal, um ganz sicher zu sein. Er stützte sich am Felsen ab und spannte den Bogen. Hastig folgte Deon seinem Beispiel. Seine Hände zitterten. Er stieß mit dem Pfeil gegen die Blechdose, daß es ein feines, klickendes Geräusch machte. Ängstlich sah er zu Flip, aber der hatte nichts bemerkt. Er konzentrierte sich ganz auf die Spalte im Fels.
Sie warteten.
Diesmal sah er es ganz deutlich: Langsam und vorsichtig bewegte sich etwas in der Dunkelheit. Plötzlich stand der schwarzrückige Schakal voll im Mondlicht, den Kopf leicht erhoben, die Ohren aufgestellt. Deon hörte das Schwirren von Flips Pfeil und schoß ebenfalls ab. Sie hörten ein schwaches Jaulen, wie bei einem Hund, dann ein Fauchen, und der Schakal war verschwunden wie ein graues Phantom, als hätte es ihn nie gegeben.
Deon sprang auf und rannte los. »ich hab' ihn!« schrie er
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