Die Erbsünde
zu seinem Wort.
Jeder wußte, daß sein Vater ein strenger Mann war, ja manchmal sogar unerbittlich. Aber er war auch gütig. So manches Mal hatte er seinen Nachbarn geholfen, wenn sie in Not gerieten. Seine Frau wußte das alles, und dennoch verließ sie ihn und die Kinder nach zwanzig Jahren Ehe. Das konnte man ihr nicht verzeihen.
Warum hatte sie es nur getan, dachte Deon.
Er drehte sich in seinem Sitz um. Hinten in der Aula saß jetzt sein Vater mürrisch in seinem dunklen Anzug zwischen den pastellfarbenen Damen der Gesellschaft. Er wirkte wie ein hochmütiger Adler in einem Käfig albern schwatzender Sittiche. Deon betrachtete das raue, undurchdringliche Gesicht. Er konnte keine Antwort darin lesen.
Warum war sie fortgegangen? Er konnte sich nicht erinnern, wie ihm damals zumute gewesen war. Zuerst hatte er sie wohl vermisst, aber bald hatte er seine Traurigkeit vergessen. Vielleicht wußte Boet mehr?
Sie hatten nie darüber gesprochen, vielleicht aus einer gewissen Diskretion ihrem Vater gegenüber. Seltsam, dachte Deon, Boet ist mein Bruder, dabei weiß ich kaum etwas über ihn, in den Ferien sehe ich ihn beim Jagen oder bei einem Ball mit Liselle, die er nächstes Jahr heiratet und die ihm sicher eine gute Frau sein wird. Aber zu sagen haben wir uns nichts. Weil er sechs Jahre älter ist? Vielleicht ist es das.
Er vertrieb seine Gedanken und wendete seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschehen auf dem Podium zu, wo ein Redner inzwischen bei den Problemen afrikanischer Kultur angelangt war. Deon sah auf seine Uhr. Noch fünf Minuten, wenn alles nach dem üblichen Schema ablief.
Wir sind Ärzte! Das soll uns erst einer nachmachen. Ärzte, hol's der Teufel. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Sechs Jahre Pauken, und auf einmal ist alles vorbei.
Er hatte gut abgeschnitten bei der Prüfung. Vielleicht hatte er auch nur Glück gehabt. In Chirurgie war eine vergrößerte Schilddrüse drangekommen, die einfach exemplarisch war. Er hatte zufällig am Vorabend noch darüber nachgelesen, und seine Antworten kamen wie aus der Pistole geschossen. Snyman hatte ihm beim Abgang wohlwollend zugeblinzelt, und er war sehr mit sich zufrieden gewesen. Dafür hatte der Gynäkologieprofessor ihm einen schönen Schrecken eingejagt. Der alte Herr hatte nämlich die unangenehme Angewohnheit, sich einen beliebten Studenten des letzten Semesters zu schnappen, den armen Teufel in sein Auto zu packen und ihn ins nächste Krankenhaus zu verfrachten. Es nützte nichts, wenn man erklärte, daß man von einem anderen Professor in Geburtshilfe geprüft werden sollte und daß man auch noch gar nicht ›dran‹ sei. Daher hatten die Studenten gelernt, vor ihm auf der Hut zu sein.
An dem Tag war Deon in der Halle mit ihm quasi zusammengestoßen. »Ah, Van der Riet«, rief der Professor mit boshafter Freude, »ich habe gerade genug Zeit, Ihnen ein paar Fragen zu stellen. Kommen Sie mit!«
Deon mußte sich blitzschnell eine Ausrede einfallen lassen. Er setzte eine leidende Miene auf. »Sir, ich muß Ihnen etwas sagen, ich war eben bei Dr. Robinson.«
»Na und, was soll's?« sagte der Professor kurz angebunden.
Deon kratzte sich am Rücken und versuchte, noch elender auszusehen. »Sir, ich hatte heute Morgen so einen Ausschlag, und ich fürchte, die Diagnose ist …«, er machte eine bedeutungsvolle Pause, »… Rubeola, Sir.«
»Röteln! Großer Gott!« explodierte der Professor. »Wie wagen Sie es, hierher zu kommen. Wissen Sie nicht, daß hier schwangere Frauen sind, Sie Vollidiot?«
»Doch, Sir«, sagte Deon zerknirscht, »ich wollte ja auch gerade nach Hause gehen.«
»Nun machen Sie schon, daß Sie hier wegkommen! Raus!« Und mit einem letzten vernichtenden Blick stakte der alte Herr an ihm vorbei.
Diesmal hatte er noch Glück gehabt, aber bei der schriftlichen Prüfung hatte es nicht geklappt. Besonders in Medizinheilkunde. Er war mit feuchten Handflächen und zitternden Knien aus dem Prüfungssaal gewankt, vorbei an den Strebern, die sich wie üblich oben an der Treppe versammelt hatten, um noch einmal die Fragen durchzugehen. Er hatte von allem nichts mehr hören und sehen wollen. Nur noch raus hier.
Trishs Schwangerschaft war daran schuld, dachte er verbittert. Ich habe einfach nicht genug gebüffelt. Aber wie soll man sich konzentrieren, wenn das Schwert des Damokles über einem hängt?
Er sah über den Mittelgang, wo zwischen all den blonden Schöpfen das Mädchen mit den langen dunkelroten Haaren saß. War es Trish? Er
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