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Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
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runzligen Haut konnte er die Form des Schädels genau erkennen.
    Der Bauch des Babys war angeschwollen, und die dürren Glieder wedelten in der Luft herum. Es sah aus wie ein grauschwarzer Käfer, den jemand mutwillig auf den Rücken gelegt hatte und der nun hilflos zappelte.
    Der Tod konnte nicht weit sein. Mit einem Schock, als treffe ihn ein eisiger Wasserstrahl, wurde Deon die Dringlichkeit der Lage bewußt. »Schwester, wir müssen dem Kind schleunigst Flüssigkeit zuführen.«
    Gastroenteritis. Laien nannten es Lebensmittelvergiftung oder Magen- und Darmentzündung. In den meisten Fällen war die Ursache unbekannt. Wenn ein Kind gut genährt war, dauerte die Krankheit meist nur ein paar Stunden. Aber bei den Armen, die nicht genug zu essen bekamen, wollten Durchfall und Erbrechen gar nicht mehr aufhören; das Kind verlor dann so viel Wasser und Salze, daß es schließlich zu Kreislaufversagen und Bewusstlosigkeit kam. Gastroenteritis war eine der häufigsten Todesursachen bei den farbigen Säuglingen.
    »Die Frau soll den Kopf des Kindes festhalten!«
    Die Schwester rasierte dem Kind eine Seite des Kopfes. In dem seltsam rötlich-grauen Haar erschien eine kahle Stelle. Sie tippte mit den Fingern dagegen und drückte die Haut zusammen, um die eingesunkene Vene hervorzubringen. Deon säuberte die Stelle; die afrikanische Mutter sah ihm interesselos zu. Er faßte die kleine Nadel mit einer Pinzette. Eine Schädelinfusion war eine knifflige Angelegenheit. Von einem der Kinderärzte wurde gesagt, daß er notfalls eine Infusion an einem Billardball anlegen könne. Eine sichere Hand mußte man haben, das war's. Und Deon war sich peinlich bewußt, daß seine Finger zitterten.
    »Also, dann woll'n wir mal sehen, was sich hier machen läßt, Schwester.« Er setzte sich vor den Kopf des Säuglings und stützte den Ellbogen auf den Tisch. Die Vene war dünn wie ein Garnfaden. Er steckte die Nadel durch die Haut. Die Afrikanerin sah weg, aber ihr Ausdruck blieb unbeweglich. Er führte die Nadelspitze durch die Ader. Plötzlich lief blaues Blut in den Plastikschlauch.
    Er grinste triumphierend. »Auf den ersten Anhieb! Schwester, bitte …«
    Sie hielt das Infusionsgerät schon bereit und reichte es ihm wortlos. Er schloß es an. »Gut, bitte öffnen!«
    Sie beobachteten gespannt die Infusionskammer. Es fing an zu tröpfeln. Deon schnallte die Nadel fest und stand auf.
    »Geben Sie ihm die erste Hälfte schnell. Wegen der restlichen Flüssigkeit seh' ich mir ihn gleich noch mal an.«
    Die Mutter hielt noch immer den Kopf ihres Kindes.
    »Warum sind Sie nicht früher gekommen?« fragte Deon sie. Nicht daß die Frage jetzt noch einen Sinn gehabt hätte. Es gab viele mögliche Erklärungen: kein Geld für den Bus; niemand, der ihr sagen konnte, an wen sie sich wenden sollte; sie hatte nicht erkannt, wie ernst es mit dem Kind stand … die Reihe konnte endlos fortgesetzt werden. Aber die Frau schwieg und summte kaum hörbar ein Wiegenlied vor sich hin.
    Die Schwester war schon dabei, das nächste Kind auszuziehen.
    »Hat die Frau heute schon etwas gegessen?« fragte er sie. »Vielleicht könnten Sie ihr wenigstens eine Tasse Tee und Brot geben lassen? Bitte!«
    »Tut mir leid, das Krankenhaus beköstigt nur Patienten.«
    »Dann muß ich der Mutter wohl auch eine Infusion geben, wie?« brauste er auf.
    Die Schwester schüttelte den Kopf. »Ich weiß. Aber das sind die Vorschriften. Ich kann's nicht ändern.«
    Die Stunden verstrichen. Ihr Vorrücken wurde nicht von den Zeigern der Uhr gemessen, sondern vom Schreien, Spucken und Scheißen der sterbenden Säuglinge. Und die ganze Zeit war Deon sich schmerzlich bewußt, daß er nicht nur gegen die Gastroenteritis im Kampf lag – der wahre Feind war viel unerbittlicher: das System, das die Menschen zu Sklaven ihrer Hautfarbe machte.
    Die Stunden verstrichen.
    Und auf einmal war es zwei Uhr. Deon und die Schwester hatten sich zügig und in vorbildlicher Zusammenarbeit durch die Reihen geschuftet. Es kamen immer noch neue Patienten, aber da um diese Zeit die Busse nicht mehr fuhren, würde der Zustrom bald versiegen.
    In Deon erwachte von neuem Hoffnung und Verlangen: es war noch nicht zu spät, zurück zur Hout-Bucht zu fahren. Vernünftiger wäre es, schlafen zu gehen, denn er mußte früh bei der Morgenvisite sein. Andererseits konnte er gut etwas zu trinken brauchen, um den üblen Gestank nach Kot und Auswurf loszuwerden.
    Ob Liz noch da war?
    Die weißhaarige Schwester sah auf

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