Die Erbsünde
den Gang hinaus. »Die letzte Mutter, Doktor!« verkündete sie erleichtert. Sie war nicht mehr die Jüngste, sicher konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten.
Die junge Farbige trug ein Kopftuch; ihr Gesicht hatte den üblichen gehetzten Ausdruck. Im Arm hielt sie ein in Decken gewickeltes Bündel. An der Tür blieb sie zögernd stehen.
Die Schwester kniff die Lippen zusammen. »Nun kommen Sie schon, Mommy«, sagte sie ein wenig ungeduldig, nahm ihr das Paket ab und öffnete die verschmutzte und zerrissene Decke.
Das Kind, ein achtzehn Monate altes Mädchen, hatte in den Armen der Mutter geschlafen. Als die schützende Hülle entfernt wurde, erwachte es schreiend. Die Schwester wollte es an sich nehmen, aber wieder schrie es und zog die Beinchen an. Jetzt griff die Schwester energisch nach dem Kind und legte es auf den Untersuchungstisch. Sofort versuchte es, fortzukriechen. Die Schwester sah Deon ratlos an.
»Was ist mit dem Kind?« fuhr er die Mutter an.
Sie druckste herum und murmelte etwas Unverständliches.
»Was?« fragte er barsch.
»Sie ist krank«, sagte die Mutter und brach in Tränen aus. Sie sank zu Boden, und mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, schluchzte sie herzzerreißend.
Das Kind hörte auf zu weinen.
Deon und die Schwester wechselten einen Blick. Dann kniete sich die Schwester flink neben die Frau und richtete sie wieder auf. »Nicht doch, Mommy, nicht weinen, es ist ja schon gut«, sagte sie immer wieder, und es schien, als wirkten ihre förmlichen, fremden Worte auf die Afrikanerin wie eine Zauberformel, denn allmählich beruhigte sie sich; aber sie mied es, die Weiße anzusehen.
Deon fühlte, daß er hier sachte vorgehen mußte. »Woher kommen Sie?«
»Worcester, Doktor.«
»Aus Worcester!« Das war über hundert Kilometer weit entfernt. »Warum haben Sie das Kind hierher gebracht?«
Die Frau schüttelte den Kopf.
Die Schwester hatte sich mit einer rostigen Sicherheitsnadel abgemüht. Endlich gelang es ihr die Windel zu öffnen. »Doktor!« entfuhr es ihr. Etwas in ihrer Stimme ließ Deon aufsehen. Sie starrten beide in die Windel. Statt der erwarteten grünlichen Färbung war sie blutgetränkt. Die Schwester hielt den Atem an. Er beugte sich über das Kind, um die geschwollenen und gequetschten Schamlippen zu untersuchen.
»Was, zum Teufel, ist mit dem Kind geschehen?« fragte er laut. Das kleine Mädchen versuchte sich loszumachen und fing wieder an zu schreien, und auch die Mutter brach in erneutes Schluchzen aus.
Die Schwester warf Deon einen vorwurfsvollen Blick zu. »Na, na, Mommy, ist ja schon gut«, tröstete sie.
Nach einer Viertelstunde eingehenden und geduldigen Befragens kannten sie die Geschichte:
Der Vater des Kindes war Bauarbeiter in Worcester, aber zur Zeit der Weinernte verdingte er sich bei den Weinbauern zwischen Worcester und Barringdale, weil er da mehr verdienen konnte. Er hatte seiner Frau geschrieben, sie solle ihn übers Wochenende besuchen kommen. Aber die Tante, bei der sie das Kind sonst ließ, war selbst verreist. In ihrer Ratlosigkeit hatte sie das Kind schließlich bei Leuten untergebracht, die sie nur flüchtig kannte. Heute nachmittag war sie zurückgekommen, um das Kind wiederzuholen. Die Leute hatten ihr gesagt, daß das Kind krank sei, und sie war zu einem Arzt in Worcester gegangen. Aber der hatte sie weiter ins Krankenhaus nach Kapstadt geschickt.
»Hat er Ihnen einen Brief mitgegeben?« fragte Deon.
Sie nickte.
»Zeigen Sie mal her!«
Die Frau kramte in ihrer schäbigen, gelben Handtasche. Ein paar Kupfermünzen fielen heraus und rollten über den Boden. Sie reichte Deon den Umschlag, und er las laut vor, während sie in der Ecke die Münzen zusammensuchte.
»Unfallarzt. Bitte nehmen Sie diesen weiblichen Säugling auf. Achtzehn Monate alt. Schwere Quetschungen und Risse von Vulva und Vagina. Rückfrage …« Er blieb mittendrin stecken. Er starrte auf das brutale, unmissverständliche Wort, dann auf das Kind auf dem Untersuchungstisch.
»Mein Gott!« stöhnte er. Und dann schrie er die Schwester an: »Lassen Sie den Gynäkologen kommen! Das hier ist kein Fall für den Infusionsraum!«
Er lag vollständig angezogen auf seinem Bett im dunklen Zimmer.
Er versuchte, seine Gedanken zu verscheuchen, aber das Bild der schwarzen Kinderaugen in dem rastlos sich hin und her drehenden Köpfchen ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Angeekelt stand er auf und stellte sich ans Fenster.
Der schwarze Klotz des Tafelbergs stand düster
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