Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Erbsünde

Titel: Die Erbsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barnard Christiaan
Vom Netzwerk:
nahe genug herangetanzt war, um ihn hören zu können.
    »Ich muß gehen!« rief er.
    Sie lächelte ihn strahlend an und schüttelte den Kopf.
    »Ich wurde abgerufen!« brüllte er. »Muß gehen!«
    Sie winkte ihm lächelnd zu und tanzte mit dem imitierten Flieger-As davon.
    Er fuhr in die Stadt zurück, so schnell sein Volkswagen es schaffte.
    Die Unfallschwester kam ihm an der Tür entgegen. Sie sah abgehärmt aus, aber als sie ihn erkannte, hellten ihre Züge sich auf. »Guten Abend, Doktor!« Ohne seinen Gruß abzuwarten, eilte sie ihm voraus. »Können Sie uns bitte im Infusionsraum helfen?«
    Er nickte und ging verdrießlich vorbei an der Ansammlung leidender Menschen: Farbige und Schwarze, Frauen und Kinder, in Decken gewickelte Babies und größere Kinder in ihren Sonntagskleidern. Einige waren Patienten, andere einfach mitgenommen worden, weil sie nicht allein zu Hause bleiben konnten. Sie alle warteten, bescheiden und geduldig, bis sie an die Reihe kamen.
    Am Eingang zum Infusionsraum blieb Deon stehen: Auf langen Holztischen lagen aufgereiht kleine Kinder und Säuglinge. Flaschen hingen an Gleitschienen von der Decke, Plastikschläuche baumelten wie Würmer herunter. Krankenschwestern schlängelten sich geschickt durch die Menge.
    Dicke Afrikanerinnen saßen in einem Kreis auf dem Fußboden und aßen aus einer gemeinsamen Schüssel, als hätten sie sich zu einem geselligen Abend zusammengefunden.
    Er hatte die eine Party verlassen, und hier war schon die nächste im Gange. Beide hatten vieles gemeinsam: auch hier gab es viele Flaschen, wenn sie auch nicht mit Wein gefüllt waren; auch hier lagen Körper zusammengerollt auf dem Fußboden, wenn es auch nicht die von Liebenden waren; auch hier war Lärm, wenn er auch nicht aus Lautsprechern schallte. Beide Parties würden die ganze Nacht und bis in den Tag hinein dauern, und hier wie dort waren die Teilnehmer blind und taub gegen die Existenz der anderen.
    Die Krankenschwester schien Deons Schweigen als Kritik aufzufassen. »Anders können wir es nicht schaffen«, verteidigte sie sich, »ich habe nur vier Pflegerinnen zur Verfügung. Wir brauchen die Mütter hier als zusätzliche Hilfe.«
    Deon wußte das nur zu gut. Es war die einzige Möglichkeit, die Vielzahl der Kinder zu behandeln, die, besonders während der Sommermonate, an einem Magen-Darm-Katarrh erkrankten. Was ihn erstaunte, war, mit welch gutmütiger Bereitschaft diese Leute oft tagelang dablieben. Der Saal mit den schreienden Babies wurde ihnen zu Schlafzimmer, Küche und Speiseraum. Sie teilten alles, was sie hatten, selbst die Schrecken und das Leid des Todes.
    Ihre Nachlässigkeit war teilweise der Grund dafür, daß ihre Kinder erkrankt waren. Aber hier in diesem Saal war ihre Geduld und Aufopferung grenzenlos. Es war ein Widerspruch, der über seinen Verstand ging. Er schüttelte den Kopf und drehte sich zu der weißhaarigen Schwester um. »Was, zum Teufel, wird hier gespielt?«
    Sie seufzte matt: »Heute sind vierzig neue Fälle eingeliefert worden, Doktor.«
    Auch er seufzte. Das hier war keine Sache von wenigen Stunden. »Kommen Sie, wir fangen an.«
    Er wusch sich in einer Nische die Hände. Die Schwester ging zur Tür und rief in den Gang: »Der Doktor ist da, Mommies.« Sie winkte eine verängstigte junge Frau heran, die als erste in der Schlange stand. »Schnell, bringen Sie Ihr Kind.«
    Es war eine Marotte von ihr, alle Frauen, die zur Infusion anstanden, mit ›Mommy‹ anzusprechen, und zwar in einem heiter herablassenden Ton, als seien sie ungebärdige und etwas dümmliche Kinder. Sie sprach nur Englisch mit ihnen, was die meisten sowieso nicht verstanden. Aber sie war flink und tüchtig, und im Nu lag das erste Kind auf dem Tisch. Sie löste die Sicherheitsnadel und öffnete die Windel. Sie war wässrig-grün besudelt.
    Deon warf einen Blick auf die Notizen: ›Baby Manyase, 7 Monate alt. Gegenwärtiges Gewicht: 6 Pfund, 474 Gramm. Gewicht bei der Geburt:? Ernährung: Muttermilch und Maismehlbrei. Krankengeschichte: Diarrhöe und regelmäßiges Erbrechen seit zwei Wochen. Rektalabstrich zur Untersuchung eingesandt.‹
    Auf dem Tisch lag der ausgetrocknete, ausgemergelte Körper eines Säuglings. Die Lider waren halb geschlossen und die eingesunkenen Augen nach oben gedreht, so daß nur das Weiße sichtbar war. Die große Fontanelle war eingedrückt und hinterließ eine Delle auf dem Kopf. Der Puls war schnell und ungleichmäßig, die Lippen ausgedörrt. Unter der mumienhaft

Weitere Kostenlose Bücher