Die Erbsünde
»Weißt du, Dr. Davids. Hab' ich dir nicht davon erzählt?«
»Von Philip? Nein.«
»Er stand an der Haltestelle und wartete auf den Bus, da habe ich ihn im Auto mitgenommen.« Unter gesenkten Wimpern warf sie ihm einen schnellen Seitenblick zu. »Er muß ganz schön arm sein.«
»Na ja … viel Geld hat er nicht. Seine Mutter arbeitet in einer Fabrik. Er bekommt denselben Hungerlohn wie ich, als Farbiger wahrscheinlich noch weniger.«
»Wieviel verdient er wohl?«
»Ich bekomme fünfundzwanzig Pfund im Monat, danach kannst du dir's ja ausrechnen.«
Sie kreuzte die Arme hinter dem Kopf. »Fünfundzwanzig Pfund, wie kann er davon leben?«
Deon ärgerte sich. »Und ich? Wer zerbricht sich den Kopf, wie ich zurechtkomme?«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich weiß doch, daß dein Vater dich unterstützt. Er hat keinen Vater mehr, oder?«
»Nein, sein Vater ist damals auf der Farm tödlich verunglückt. Aber seine Mutter geht arbeiten … Sag mal, seit wann nimmst du solch rührenden Anteil am Los der Armen? Du wirst mir doch wohl nicht unter die Commies gegangen sein?«
»Nein.« Sie drehte sich wieder zum Fenster und sagte mit abgewandtem Gesicht: »Lad ihn doch mal ein, wir könnten eine … eine Party geben.«
»Wen? Philip?«
»Wen denn sonst?«
Deon fuhr sich verwirrt mit den Fingern durchs Haar. »Findest du das so angebracht? Hier in deiner Wohnung? Außerdem glaube ich, daß er nicht kommen würde.«
»Und warum nicht?«
»Weil er denken würde, daß wir ihn … nun ja, daß wir uns als Gönner aufspielen wollen.«
»Ich glaube, er würde kommen. Er mag dich.«
»Woher willst du das wissen?«
»Wir haben von dir gesprochen, als ich ihn im Auto mitnahm.«
»Ach, sieh an!« Der Gedanke war ihm unangenehm, um nicht zu sagen peinlich. »Und was habt ihr euch da so alles erzählt?«
»Ach, nichts Besonderes. Nur, daß ihr zusammen aufgewachsen seid, damals auf der Farm.«
»Aber das weißt du doch längst von mir!«
»Ja.« Sie sah gedankenverloren aus dem Fenster zu den schwärzlich glänzenden Sturmwolken, die der Bergflanke zutrieben. Unvermittelt setzte sie sich auf und sprang mit einem Ruck aus dem Bett. »Was machen wir heute?«
»Was?« Er richtete sich bestürzt auf.
»Was machen wir heute?« Sie artikulierte jede Silbe mit überdeutlicher Klarheit.
Er stellte sich dumm und legte sich wieder hin. »Wie wär's damit?«
Sie stieß seine Hand weg und begann sich anzuziehen. Mit geübtem Griff hakte sie den Büstenhalter zu. Widerwillig mußte er schließlich auch aufstehen.
»Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Ich dachte, wir bleiben heute hier bei dir?« grollte er.
Sie wich seinem Blick aus. »Ich will raus. Hier ersticke ich noch.«
Er verdrehte spöttisch die Augen wegen ihres dramatischen Getues. Sie sah es und blickte ihn durchbohrend an.
»Eben hast du noch gesagt, wie schön es hier drinnen ist«, schmollte er und zog sich an, »und jetzt …«
Sie drehte ihm den Rücken zu und befahl: »Mach mir den Reißverschluss zu!«
Er gehorchte widerstrebend. »Wo, zum Kuckuck, willst du hin?«
Sie sah ihn über die Schulter hinweg an. »Du brauchst ja nicht mitzugehen«, sagte sie mit aufreizender Gleichgültigkeit.
Er schwieg und hielt seine aufsteigende Wut sorgfältig im Zaum.
Sie fuhren in ihrem Wagen zur False-Bay und gingen durch den Wind an dem langen, einsamen Strand entlang. Zuerst war er niedergeschlagen, aber bald genoß er es, gegen die rauen Windstöße anzukämpfen. Das Meer war ein grünweißer Hexenkessel, Seemöwen kreisten an dem schmutziggrauen Himmel wie zerfledderte Papierdrachen.
Ausgelassen ergriff er ihren Arm und riß sie mit sich fort, dem Wind und der zischenden Gischt entgegen. Sie lächelte matt und machte sich nach ein paar Schritten wieder los. Versunken hüpfte und tanzte sie an dem öden Strand vor sich hin, die blonden Haare wogten im Takt ihrer Bewegungen.
Auf dem Heimweg stritten sie sich heftig über irgendeine Kleinigkeit; er hätte nachher nicht sagen können, was es war. Sie trennten sich wortlos vor Elizabeths Wohnung, und er fuhr in bedrückter Stimmung zurück ins Krankenhaus. Der Tag war verdorben, und er verbrachte den Nachmittag in seinem Zimmer mit Schlafen und Zeitunglesen.
Am nächsten Tag versuchte er reumütig, sie anzurufen, aber er konnte sie nicht erreichen. Vielleicht ist es besser so, dachte er.
Dann wurde die kleine Mary-Jane Fowler eingeliefert, und er dachte nicht mehr an Elizabeth.
Die
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