Die Erbsünde
Robby weiter an. »Im Grunde ist er ganz bescheiden. Du mußt zugeben, daß er nie besserwisserisch ist.«
»Mag sein.«
Elizabeth dankte mit einem knappen Nicken und blies den Rauch ins Feuer. »Wo kommt er her?«
»Du wirst es nicht glauben, aber seine Mutter arbeitete früher bei uns auf der Farm. Aber sie zog schon vor vielen Jahren nach Kapstadt. Mein Vater ermöglichte Philip das Universitätsstudium …«
»Er hat ihn unterstützt?« fragte sie interessiert.
»Ja.« Deon schnappte Robbys ironischen Blick auf und fügte hastig hinzu: »Natürlich nur während der ersten paar Jahre. Philip ist sehr tüchtig. Er bekam Stipendien. Voriges Jahr wurde ihm sogar eins aus Übersee angeboten.«
»Und warum ist er nicht gegangen? Gerade, wo er doch Farbiger ist?«
»Er wollte seine Assistenzzeit hier absolvieren. Wahrscheinlich geht er nächstes Jahr. Aber er tut ziemlich geheimnisvoll damit. Er ist überhaupt ein verschlossener Mensch. Als Kinder waren wir gute Freunde, aber ich weiß immer noch nicht so recht, woran ich bei ihm eigentlich bin.«
»Ja, den Eindruck macht er allerdings.« Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück und sah in die zuckenden Flammen. »Robby, ich glaube, unser Feuer braucht ein paar neue Holzscheite.«
Rasselnd wurden die Gitter des Kinderbettchens heruntergelassen. Wie Gefängnistüren, dachte Deon. Und Gefangene sind sie wahrhaftig, diese Kinder. Manche waren an Händen und Füßen angebunden. Die maskierten Gestalten der Ärzte versammelten sich wie ein vermummter Gespensterreigen um das erste Bettchen. Das kleine Mädchen darin fing an zu weinen. Es war ein Weinen der Angst – Angst vor Schmerzen.
Der Oberarzt erstattete Professor Snyman Bericht. Seine Worte waren durch die Gesichtsmaske kaum verständlich, zumal der Lärm auf der Station alles übertönte. Deon verstand nur etwas von ›zwanzig Prozent‹. Er gab es auf, die gemurmelten Kommentare der anderen Ärzte verstehen zu wollen, und sah sich im Raum um. Gestern abend hatte Philip ihm die Patienten gezeigt, für die Deon ab jetzt die Verantwortung übernehmen mußte. Fünfundfünfzig Kinder im Alter von zwei Monaten bis zwölf Jahren waren in sechs Abteilungen zusammengepfercht. Alle hatten Verbrennungen: durch heißes Wasser, heißen Tee, Feuer, Spirituskocher. In welche Kategorie gehörte dieses kleine Mädchen? Seine Mutter hatte es hochgehalten, um sich selbst vor der Öllampe zu schützen, die ihr Mann nach ihr geschleudert hatte. Der rechte Arm und das rechte Bein des Kindes waren so stark verbrannt, daß sie amputiert werden mußten.
Die Prozession der Ärzte bewegte sich weiter. Der nächste Fall: ein siebenjähriger Junge. Er stand krummbeinig wie ein alter Mann am Kopfende des Bettes und sagte immer wieder leise: »Ich will nach Hause. Wo ist meine Mutter? Ich will nach Hause. Wo ist meine Mutter?«
Deon packte die Wut. Was wollte der Junge zu Hause? Dort war er doch verbrannt worden. Was hatte Philip einmal zu ihm gesagt: »Wenn du aufgewachsen wärst wie ich, dann könnte dich so etwas nicht mehr aus der Fassung bringen.« Schlafen, Wohnen, Essen, Kochen, Spielen: alles passierte bei diesen Menschen in einem einzigen Raum. Liebe und Lachen, Hunger und Freude, Rotz und Tränen – und heißes Wasser.
Die Prozession zog weiter. Medizinisch interessante Fälle waren das. Darauf mußte man sein Augenmerk richten, an das andere durfte man nicht denken. Konzentriere dich aufs Heilen: Gib ihnen Plasma, Blut, elektrolytische Lösungen, wasche die Wunde, verhindere Infektionen, transplantiere Gewebe. Dann schickst du das Kind wieder nach Hause. In seinen einzimmrigen Lebensraum.
Nächstes Abteil. Die Gitter klappten herunter.
»Was, in des Dreiteufels Namen, ist das?« Professor Snymans Stimme schwankte zwischen Grauen und Empörung. Ein kleiner Junge, der an Händen und Füßen festgebunden war, lag auf dem Rücken. Seine Brust war mir riesigen Blasen bedeckt. Einige waren geplatzt, die Haut geschrumpelt, und darunter konnte man das rohe Fleisch sehen. Das ganze verbrannte Gebiet war mit einer gelblichen, klebrigen Schmiere bedeckt.
»Verbrennung durch heißen Tee«, berichtete der Oberarzt unter seiner Maske hervor. »Gestern abend eingeliefert worden, Sir. Die Mutter versuchte, die Brandwunde zu behandeln, indem sie Kondensmilch darüberschüttete.«
»Warum ist die Wunde nicht gesäubert worden?« donnerte der Professor.
Deon hatte gestern abend seine alten Vorlesungsnotizen hervorgeholt. Darin hieß
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