Die Erbsünde
es: »Bei der Einlieferung sind als Schockbehandlung Plasma, Blut und Bittersalz in fünfprozentiger Traubenzuckerlösung zu verabreichen. Die Menge der Flüssigkeit wird nach einer Formel berechnet, die sich auf das Körpergewicht und das prozentuale Ausmaß der Verbrennung gründet. Wenn der Zustand des Patienten sich normalisiert hat, wird er in den Operationssaal gebracht, wo die Blasen geöffnet werden und die verbrannte Haut weggeschnitten wird. Die verbrannte Fläche wird dann gründlich mit einer Nagelbürste, Seifenlauge und lauwarmem Wasser geschrubbt und mit Vaselinegaze verbunden.«
»Warum ist die Wunde nicht gesäubert worden?« grollte Snyman wieder.
Ein nervöses Rascheln ging durch die kleine Gruppe der begleitenden Ärzte; niemand wagte es, den Blick zu heben.
Der Oberarzt räusperte sich: »Eh, Sir …« Er zögerte. »Ich hatte vor, Ihren Rat in dieser Sache einzuholen. Aber wir hatten hier alle Hände voll zu tun, und ich bin noch nicht dazugekommen, mit Ihnen zu sprechen.«
»So?« erwiderte Professor Snyman frostig. »Sie hatten also mehr zu tun als ich, John? Ich hatte Zeit, mit Ihnen zu sprechen, nicht wahr?«
»Ja, Sir. Entschuldigung, Sir.« Der magere, hochaufgeschossene Oberarzt senkte ergeben das Haupt. »Aber sehen Sie sich das mal an.« Er zeigte auf eine der nicht aufgeplatzten Blasen. »Wenn man sie nicht öffnet, entsteht weniger Flüssigkeitsverlust.«
Snyman runzelte die Stirn. »Woher wollen Sie das wissen?«
»Philip Davids hat eine Reihe von Versuchen für mich durchgeführt. Dabei haben wir festgestellt, daß im Durchschnitt der Flüssigkeitsverlust bei einer offenen Blase dreimal so hoch ist.«
»Wie viele Versuche wurden gemacht?«
Der Oberarzt sah sich unsicher um. »Dummerweise wurde Davids auf die Gynäkologiestation versetzt. Aber ich glaube, es waren etwa dreißig.«
»Das dürfte beweiskräftig genug sein, John. Welche Vorschläge haben Sie zur Änderung der Behandlungsmethoden zu machen?«
Die Haltung der Umstehenden lockerte sich: Das Interesse des alten Herrn war geweckt, das Gewitter vorbeigezogen.
»Die Sache ist die, daß das Waschen der Wunden den Schockzustand verlängert und mordsmäßig verschlimmert.«
Zaghaftes Gelächter allerseits.
»Pardon«, sagte der Oberarzt. »Aber der Schock wird dadurch wirklich kolossal verstärkt und ich bin sicher, daß wir unsere Krankheits- und Sterblichkeitsziffern herunterdrücken können, wenn wir den Kindern Blasen und Haut lassen.«
»Und Dosenmilch?« fragte Snyman stirnrunzelnd.
»Und Dosenmilch!« erwiderte der Oberarzt bestimmt.
Professor Snyman nickte nachdenklich.
Deon bewunderte seine Haltung, seine Fähigkeit, eine neue Situation zu erkennen und sich daran anzupassen, selbst wenn das hieß, festverankerte Grundsätze fallenzulassen. So muß ein großer Arzt denken: das Endergebnis, darauf allein kommt es an.
Der kleine Trupp bewegte sich weiter. Noch mehr Verbrennungen. Immer wieder dieselbe Geschichte: kochendes Wasser, heißer Tee, Feuer … Professor Snyman war ungewöhnlich schweigsam, er reagierte nur mit einem kurzen Nicken oder einem knappen Kommentar.
Sie kamen aus dem letzten Abteil. Snyman blieb abrupt stehen und hob warnend den Finger. »John, ich finde, sie sollten nicht alle Patienten nach Ihrer neuen Methode behandeln. Kommen Sie nach der Visite zu mir, dann entwickeln wir ein Arbeitsprogramm. Was mich beunruhigt, ist die enorme Erhöhung der Sepsisziffer, mit der wir rechnen müssen, wenn die Wunden nicht richtig gesäubert werden.«
Snyman sah herausfordernd um sich. Als ob jemand es wagen würde, dem Chef der Chirurgie zu widersprechen! »Also!« sagte er abschließend und entschwand in Richtung auf sein Büro.
9
Elizabeth lag neben Deon auf dem Bett. Durchs Fenster blickte sie auf den Berg, der von einer schiefergrauen Wolke eingehüllt war, die ein heftiger Sturm in lange, faserige Streifen zerteilte. Fahl schien die Wintersonne über der Stadt.
Es war Sonntag, und sie waren glücklich in dem sicheren Gefühl, daß sie den ganzen Tag für sich haben würden.
»Ist es nicht herrlich«, sagte sie, »wenn der Sturm draußen bläst und wir hier drinnen warm und geborgen sein können …«
»Wunderbar«, stimmte er gezwungen zu. Sie drehte sich auf den Rücken. Deons Blick glitt fast unfreiwillig über ihren Körper. Sie fing ihn auf und streckte sich wohlig wie eine Katze am Kamin.
»Übrigens, ich habe neulich deinen Freund getroffen, den farbigen Arzt«, sagte sie.
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