Die Erbsünde
schmerzenden Gliedern ging er ihnen entgegen. Die Männer trafen am Tor auf ihn. Ihre Gesichter waren ernst, die massiven Schultern spannten unter dem grauen Stoff. Im Fond saßen die beiden Farbigen, Sportmantel und sein Freund mit den geflickten Khakihosen.
»'n Abend«, sagte Boet. Zu seinem Erstaunen klang seine Stimme ganz fest.
11
Vor langer Zeit hatte Deon einmal einen Traum vom Tod. Damals war er noch ein kleiner Junge und schlief im Verandazimmer auf Wamagerskraal. Er konnte sich nicht erinnern, welcher Eindruck den Traum verursacht hatte, vielleicht hatte er sich auch nur am Hammelbraten überessen, aber er wußte noch gut, mit welch eisigem Grauen er erwacht war, wie seine Hände verzweifelt die Bettdecke umkrallt hatten, und dann – die namenlose Erleichterung, als er begriffen hatte, daß alles nur ein Traum gewesen war.
Er ging durch einen endlos langen Korridor mit mißfarbenen Wänden und gemustertem Linoleum auf dem Fußboden. Zu beiden Seiten waren Türen, aber er versuchte nicht, sie zu öffnen, denn er wußte, daß sie entweder verschlossen waren oder aber ins Leere führten. Auf einmal war noch jemand in dem düsteren Gang, unsichtbar zwar, doch spürte er deutlich die Nähe des Fremden. Er kehrte sich langsam, um ihn zu überrumpeln, aber der andere entzog sich ständig seinem Blick, glitt seitwärts, wie es geschieht, wenn die müden Augen nichts mehr halten können. Es war wie eine optische Täuschung, mit dem einen Unterschied: Er wußte, was er sehen würde, wenn der Fremde ihm einen ungehinderten Blick gewähren wollte. Ein Grau, nicht mehr. Ein schwebendes Grau, das in seiner Vorstellung irgendwie mit kaltem Fett zusammenhing.
Der Fremde war gekommen, ihn mitzunehmen.
Mit diesem Wissen war Deon aufgewacht, und lange hatte er nicht gewagt, die Augen wieder zu schließen, aus Angst, sich in dem langen, dunklen Gang wieder zu finden. Der Traum hatte ihn nie wieder heimgesucht, selbst als der Tod ein vertrauter Feind geworden war, den man manchmal besiegen, überlisten, hinhalten konnte, dem man sich aber am Ende doch beugen mußte.
Jetzt war der Fremde wieder im Raum.
Deons Vater hustete schwach. Die knochige Gestalt war peinlich ordentlich in die Betttücher und Decken verpackt. Zwei emsige Schwestern hatten eben erst sein Bett neu gemacht: die Krankenhausroutine war unerbittlich. Nicht einmal der unvermeidliche Aufruhr des nahenden Todes wurde geduldet. Alles mußte jederzeit einer Überprüfung standhalten können.
Deon stand auf und ging ums Bett. Die Infusion lief noch. Alles in Ordnung. Fast wünschte er sich, daß es irgend etwas für ihn zu tun gäbe, damit er seinen quälenden Gedanken entfliehen konnte.
Sein Vater rührte sich nicht. Die Anstrengung des Neugebettetwerdens mußte ihn erschöpft haben. Er hatte die Augen geschlossen. Vielleicht war er eingeschlafen.
Die Tür wurde behutsam geöffnet. Philip Davids kam leise ins Zimmer. Er sah Deon an, dann die reglose Gestalt auf dem Bett, und dann wieder Deon mit einem fragenden Blick. Deon stand auf und die beiden gingen hinaus auf den Korridor. Philip ließ Deon vorausgehen, ob aus Mitgefühl oder Höflichkeit, war schwer zu sagen.
»Wie geht es ihm?«
»Sieht ziemlich hoffnungslos aus.«
»Ja.«
»Die letzte Bestrahlung hat praktisch alle weißen Blutkörperchen zerstört. Jetzt wird angenommen, daß er Blutvergiftung hat.« Sie schwiegen lange, ohne sich anzusehen. Ein afrikanischer Reinigungsarbeiter in der khakifarbenen Krankenhausuniform arbeitete sich mit Eimern und Wischlappen auf sie zu. Die beiden beobachteten ihn aufmerksam, als sei aus seinem Anblick Trost zu schöpfen.
Eine Schwester bog munter mit einem Tablett um die Ecke, hinter ihr her kam einer der älteren Assistenzärzte, ein kleiner, rötlichblonder Mann. Er verhielt leicht den Schritt, als er Deon und Philip gewahrte, dann trat er zu ihnen. Sorgenvoll strich er über die Revers seines Kittels. »Tag, Deon«, sagte er. »Wie geht's Ihrem alten Herrn?«
»Er schläft«, erwiderte Deon trocken.
»Ach.« Der blonde Arzt blickte ihn hilflos an, dann sah er auf seine Uhr. »Hm, tut mir leid, aber das Labor will eine Blutkörperchenzählung machen. Ich werde mir Mühe geben, ihn nicht zu wecken.«
Deon schnitt eine Grimasse. »Wenn es sein muß.«
»Ja … also …« Der Blonde zupfte an seinem rötlichen Schnurrbart. »Vielleicht haben sich die weißen Blutkörperchen ja wieder vermehrt«, sagte er mit erzwungener Heiterkeit. »Kommen Sie,
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