Die Erbsünde
geworden. Aber die Stimme sagte, diesmal kräftiger: »Deon.« Es klang wie eine Feststellung, ein endgültiger Beschluss.
»Ja, Vater?«
»Johan?«
Boet trug den Namen seines Vaters.
Deon zauderte. »Er ist … Boet ist auf der Farm, Vater.«
Der alte Mann öffnete die Augen und sah ihn mit dem abschätzend ironischen Blick an, mit dem er früher eine törichte Bemerkung kommentiert hatte. »Boet ist im Gefängnis«, sagte er klar und deutlich.
»Ja, Vater«, gab Deon kleinlaut zu.
Wie zu sich selbst, fuhr sein Vater fort: »Boet ist das Kind seiner Mutter.« Nach Atem ringend, sprach er weiter: »Unschuldig. Er war unschuldig.«
Tu ihm den Gefallen! »Ja, Vater.«
Wieder der Blick. »Wie seine Mutter. Nicht von dieser Erde. Diese Menschen verstehen den Lauf der Welt nicht. Jeder kann ihnen was vormachen.« Anerkennend fügte er hinzu: »Sie hatte Charakter, aber es hat nicht gereicht. Am Ende hat es sie zugrunde gerichtet.«
»Wer? Was?« fragte Deon verwirrt. »Liselle?«
»Was weiß ich von Liselle? Ich rede von deiner Mutter.«
Er phantasiert also doch ein bißchen. »Aha.«
Nach einer Pause fuhr der alte Mann fort: »Der Pastor war bei mir. Wann war es? Gestern?«
»Vorgestern. Es war schon nach Mitternacht.«
»Wie spät ist es?«
Deon sah auf die Uhr. »Halb vier.«
»Am Morgen? Die Nacht ist lang, o Gott. Aber unsere Sünden sollen uns vergeben werden.«
»Du darfst dich nicht überanstrengen, Vater«, sagte Deon peinlich berührt. Er überlegte, ob er um ein Schlafmittel für den alten Mann bitten sollte. Aber er sagte nichts mehr, und Deon meinte, er sei eingeschlafen oder wieder bewusstlos. Er selbst war sehr schläfrig.
»Dieser Junge«, krächzte die Stimme aus dem Halbdunkel, »dieser Flip, er war auch hier bei mir?«
»Ja, Vater.«
»Er ist ein netter Junge geworden. Bring ihn zu mir.«
»Ich soll Flip Davids holen?« fragte Deon ungläubig.
»Ja. Hol ihn.«
»Es ist sehr spät, Vater.«
Der hagere Schädel ruckte unwillig. »Verstehst du denn nicht, Deon? Flip soll kommen, mein Sohn!«
Die Stimme war heftig, und Deon hielt es für geraten, ihr zu gehorchen. Offenbar war sein Verstand zeitweilig ganz klar, und dann wieder umwölkte er sich. Jedenfalls verdiente der alte Mann, daß man ihm jeden Willen tat. Philip arbeitete zur Zeit in der Geburtshilfe, aber ausgerechnet heute hatte er seinen freien Abend. Er hatte eine Telefonnummer hinterlassen, damit man ihn im Notfall erreichen konnte. Die Nachtschwester hatte sie Deon auf einen Rezeptblock gekritzelt.
Deon hielt den Hörer schon in der Hand und hörte auf das Amtszeichen. Er zögerte noch. Der freie Abend war kostbar, der einzige Abend, an dem man ungestört schlafen konnte. Deon erinnerte sich, als Philip sich angeboten hatte, für Deon einzuspringen, damit er zu seiner Party gehen konnte. Andererseits war es möglich, daß Philip sich verpflichtet fühlte, schließlich war es der alte Van der Riet gewesen, der ihm zum Studium verholfen hatte. Und er war ja auch gestern nachmittag gekommen, um ihn zu besuchen.
Er wählte.
Erst nach der zweiten Ziffer kam ihm die Nummer irgendwie bekannt vor. Er starrte auf den Zettel, den Finger schon gekrümmt für die Sechs, dann legte er leise den Hörer wieder auf die Gabel.
Es war Elizabeths Telefonnummer.
Die Schwester blickte ihn fragend an.
»Hab' mir's anders überlegt«, sagte er. Er verzog sein Gesicht zu etwas, das wie ein Lächeln aussehen sollte. »Nicht recht, ihn um diese Zeit zu stören.«
Sie nickte zustimmend, und er ging auf den Korridor. Aber er konnte so nicht zu seinem Vater zurück.
Philip.
Das Schwein.
Deon lehnte sich gegen die grüngestrichene Wand; seine Fingerspitzen glitten über die kaltfeuchte Glätte der unzähligen Farbschichten.
Schmerz, Niederlage und unterdrückte Wut drängten sich in ihm zusammen.
Allmählich verebbte der Ansturm der Gefühle, und er ging zurück zu seinem Vater. Unterwegs überlegte er sich eine Erklärung, warum er Philip Davids nicht hatte finden können.
Sie war nicht notwendig. Während Deon telefonierte, war Johan Van der Riet bewusstlos geworden. Wenig später fiel er in ein tiefes Koma und starb kurz vor Anbruch des Tages. Es war ein strahlender Frühlingsmorgen.
Zuerst fuhr Deon ziellos durch die Stadt. Als er aber wieder am Krankenhaus vorbeikam, bog er kurz entschlossen in Richtung Newlands ab. Ihm wurde klar, daß er das schon die ganze Zeit vorgehabt hatte.
Philip und Elizabeth. Es schien
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