Die Erde
die Tragbütte Delphins, den Lengaigne, diese große Natter, für die Weinlese unter dem Vorwand gedungen hatte, daß er selber im Laden bleiben müsse. Und Delphin, der niemals aus Rognes fortgekommen und fest in der Erde verwurzelt war wie eine junge Eiche, sperrte vor Überraschung Mund und Ohren auf, wenn er mit Victor zusammen war, diesem schneidigen Kerl und Aufschneider, der entzückt war, ihn in Erstaunen zu versetzen, und der sich so verändert hatte, daß niemand ihn wiedererkannte mit seinem Schnurrbart und seinem Kinnbart, seiner wurschtigen Miene unter der Feldmütze, die er prahlerisch noch trug. Bloß täuschte sich der fidele Bruder, wenn er glaubte, den andern neidisch zu machen: er mochte ihm ruhig Heldenstücke aus der Garnison, Lügereien über das Flottmachen, von Mädchen und vom Wein erzählen, der Bauer schüttelte den Kopf, war aufs tiefste verdutzt, alles in allem aber keineswegs in Versuchung gebracht. Nein, nein! Das komme zu teuer zu stehen, wenn er sein Fleckchen Erde verlassen müßte! Er hatte es bereits zweimal abgelehnt, nach Chartres zu gehen, um dort mit Nénesse in einem Restaurant sein Glück zu machen.
»Aber wenn du Soldat wirst, du verdammter Lahmarsch!«
»Oh, Soldat! – Ach was, ich ziehe eben eine gute Nummer!«
Victor, der voller Verachtung war, konnte ihn nicht davon abbringen. Was für ein großer Feigling, und dabei gebaut wie ein Kosake! Beim Reden entleerte er weiter die Körbe in die Tragbütte, ohne daß sich der Kerl unter der Last beugte. Und zum Ulk wies er wie ein richtiger Angeber mit einem Wink auf Berthe und fügte hinzu:
»Hör mal, ist ihr denn was dran gewachsen, seit ich weg bin?«
Delphin wurde von einem unbändigen Lachen geschüttelt, denn das Naturwunder bei Macquerons Tochter blieb weiterhin der große Scherz unter den jungen Burschen.
»Ach, ich habe nicht die Nase reingesteckt ... Möglich, daß ihr im Frühling welche gewachsen sind.«
»Ich werde sie nicht begießen«, sagte Victor abschließend und verzog angewidert den Mund. »Ebenso könnte man sich einen Frosch vornehmen ... Und dann ist das wohl kaum gesund, diese Stelle da muß sich ja den Schnupfen holen, so ohne Perücke.«
Auf einmal lachte Delphin so stark, daß die Tragbütte auf seinem Rücken dadurch ins Kippen geriet; und er ging hinunter, er entleerte sie auf den Boden einer Gueulebée, und man hörte immer noch, wie ihm vor Lachen schier die Luft wegblieb.
In Macquerons Weinberg spielte Berthe weiter das feine Fräulein, bediente sich einer kleinen Schere anstatt einer Hippe, hatte Angst vor Dornen und Wespen, geriet in Verzweiflung, weil ihre feinen Schuhe, die vom Tau durchnäßt waren, nicht trockneten. Und sie duldete Lequeus Zuvorkommenheiten, den sie nicht ausstehen konnte, fühlte sich aber dennoch geschmeichelt, weil der einzige Mann, der Bildung hatte, ihr den Hof machte. Er nahm schließlich sein Taschentuch, um ihr die Schuhe abzuwischen. Aber eine unverhoffte Erscheinung nahm beider Aufmerksamkeit in Anspruch.
»Du lieber Gott!« murmelte Berthe. »Hat die aber ein Kleid! – Man hatte mir ja gesagt, daß sie gestern abend zur gleichen Zeit wie der Pfarrer eingetroffen ist.«
Das war Suzanne, Lengaignes Tochter, die nach drei Jahren tollen Lebens in Paris plötzlich wieder in ihrem Dorf zu erscheinen wagte. Nachdem sie gestern abend eingetroffen war, hatte sie sich heute tüchtig ausgeschlafen, hatte ihre Mutter und ihren Bruder zur Weinlese aufbrechen lassen und sich vorgenommen, sich später dort zu ihnen zu gesellen und im Glanz ihrer Toilette mitten unter die arbeitenden Bauern hereinzuplatzen, um sie zu verblüffen. Sie machte tatsächlich leinen ungewöhnlichen Eindruck, denn sie hatte ein blaues Seidenkleid angezogen, dessen strahlendes Blau das Blau des Himmels ausstach. Wie sie sich so unter der prallen Sonne, von der sie gebadet wurde, in der freien Luft inmitten des Gelbgrüns der Reben abhob, wirkte sie wahrhaft protzig, wie ein wahrer Triumph. Sofort hatte sie losgeredet und sehr laut gelacht, hatte in die Trauben gebissen, die sie hoch in die Luft hob, um sie in den Mund herabgleiten zu lassen, hatte mit Delphin und ihrem Bruder Victor gescherzt, der sehr stolz auf sie zu sein schien, hatte ihre Mutter und die Bécu in höchstes Erstaunen versetzt, die beide vor Bewunderung die Hände baumeln ließen und feuchte Augen bekamen. Übrigens wurde diese Bewunderung von den Weinlesern auf den Nachbarpflanzungen geteilt: die Arbeit stockte, alle
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