Die Erdfresserin
Spießers, schon etwas verwelkt, mit Bausparvertrag und einer Kosmetikerin ums Eck, die mir den Damenbart wegharzt und mit der ich alberne Frauenzeitschriften durchgehe. Eingesetzt im Rahmen von Leos Fenster, von Leos Leben, werde ich harmlos, zahm, bürgerlich. Meine kurze Atempause, ein vorübergehender Rastplatz, ganz anders als die übrigen Rastplätze meines Weges, verstreut an Autobahnen und Vororten von Industriestädtchen. Wien ist gemütlich. Wenn ich abends das Haus verlasse, um das Geld zu sammeln, auf das drei Menschen warten und mein Theater, stelle ich mich niemals ohne Grund zur Schau.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
»Sie scheinen diesen Leo gemocht zu haben.«
»Ich weiß es nicht.«
»Vielleicht wollen Sie es nicht wissen.«
»Vielleicht.«
»Wie lange haben Sie bei Leo gelebt?«
»Vom Winterbeginn bis zum Ende des Sommers, glaube ich …«
9
In Leos Wohnung ist es heiß, nicht sommerlich heiß, sondern wüstenheiß, Leo und ich brüten beduinenhaft in Leintücher gewickelt in der stehenden, alles zukleisternden Hitze. Leos Wasser im Glas von gleicher Wärme wie die Feuchtigkeit in unseren Gesichtern, der Schweiß, der zwischen uns ins Leintuch rinnt, ist vermutlich noch heißer. Das Leintuch wirft Falten um meinen Oberkörper und meine Schenkel, verläuft in Hügeln in Richtung Bettende. Im Halbdunkel des frühen Morgens wirken sie wie eine Wüstenlandschaft. Weiße Sandkörper, eine Düne, noch eine, viele, in unregelmäßigen Reihen nebeneinander wie ein endloses Liebeslager. Der Mond sinkt hinter die Wölbungen der Erde, die sich hier nur in glattem, feinem Sand zeigt, gerade noch betretbar bei Nacht, lebensgefährlich bei Tag. Der Himmel ist noch kaum von dem Grat zu unterscheiden, ein etwas helleres Blau mit dem Versprechen noch sengenderer Hitze.
Irgendwo heult ein Tier, langgezogen und heiser.
Dieses Heulen habe ich in Griechenland oft gehört, wo an den Stränden, an denen ich übernachtete, ganze Rudel von verwilderten Hunden gelebt haben, hungrig wie ich und genauso verschlagen. Ausgesetzt und verängstigt, verschmolzen sie bald zu einem großen, vielmauligen Ganzen, mit vielen Augen und Ohren und scharrenden Pfoten, große, kleine, säugende und mörderische Einzelleiber. Manchmal machten sie Jagd auf andere Tiere, und es soll auch vorgekommen sein, dass sie Menschen angefallen haben.
Ich schlief damals oft am Strand und hatte keine Angst vor ihnen, ich fühlte, dass ich mehr Teil ihres Rudels war als manche Hunde, genauso hungrig und genauso fremd. Einmal kamen ein paar von ihnen wie Kundschafter zu meinem Schlafplatz, vorsichtig und lautlos, mit wachem Blick und aufgestellten Ohren. Sie kamen nicht in Feindschaft. Ich hatte wachgelegen, dem Wind zugehört und dem Rauschen der Wellen, auf betrunkenes Gelächter oder das Klatschen des Wassers unter einem Ruder wartend, um jederzeit meine Sachen packen zu können, um zu flüchten oder zu arbeiten. Der Strand war ruhig, weil die Hunde da waren, ihre Anwesenheit hatte sich herumgesprochen und hielt viele davon ab, ihn in der Nacht heimzusuchen.
Die Hunde erschienen lautlos am Hügel, dunkle Umrisse gegen dunklen Nachthimmel, dort, wo sie nicht waren, intensiv leuchtend weiße Punkte der Sterne. Ihre Anwesenheit nur angedeutet von einer Abwesenheit von etwas anderem, von nichts sonst, Stille und Wind und ihr Lauschen und mein Atmen, lange Zeit. Über allem der Mond, den wir alle drei ansahen, in ekstatischem Schweigen in seine Helligkeit vertieft, und je länger wir so reglos verharrten, desto verbindender wurde diese Anbetung.
An griechischen Stränden barfuß gehen: Der Sand ist schon in der Früh brennend unter den Sohlen, so intensiv aufgehitzt zu Mittag, dass ich um meine Plastiksandalen fürchte und nicht daran denken will, wie ich sie von meiner Haut abziehe wie eine stinkende zweite bunte Haut. Ich will Leos dampfende Haut von mir abziehen, bevor er mich zukleistert, meine Poren verstopft, bevor mein Geruch so abstoßend wird wie seiner, der immer gegenwärtig ist, in seinem Schweiß, in seinem Atem, in seiner Berührung, mit der er überwuchern will, an mir anwachsen, durch mich hindurch gesund werden an meiner statt. Ich rücke in der tropischen Hitze von ihm ab, und er rollt mir flüsternd nach, er gibt Laute von sich, die an ein Tier, an einen Säugling erinnern. Leo wirft eine schlaffe Hand aus wie einen Fangarm, dem ich gerade noch ausweichen kann, er fällt ins
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