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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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des Dekolletees, ein unruhiger roter Fleck, umgeben von Sommersprossen. Hinter ihr kleine braungebeizte Täfelchen auf Holzwandverkleidung mit eingeschmorter Schrift, altdeutsch. Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd. Oh, du lieber Augustin.
    Ich hebe also ab, meine Hand streckt sich automatisch nach dem Hörer, ich beobachte sie fasziniert, das Kettchen um mein Handgelenk, das silbrig im Halbdunkel zittert. Ich könnte jetzt einige Dinge endgültig ins Rollen bringen. Ich bin Gott, und das Schicksal fügt sich zutraulich in meine Handfläche und rollt sich innen im glatten Plastik des Hörers zusammen. Ich hole tief Luft aus allem meinem mit Leo Gemeinsamen: die abgestandene Luft der Wohnung, die Düfte der letzten gemeinsamen Mahlzeit, die Haut, die auf Haut liegt, die Kotzschüssel neben dem Bett, mein heiseres Gemurmel, es wird besser, es wird besser, es wird bald gut, entspann dich. Entspann dich.
    »Leo?!«, wiederholt sie, noch durchdringender.
    »Falsch verbunden«, sage ich zu meiner eigenen Überraschung. Der magische Moment verstreicht. Ich verfolge meine Handbewegung abermals, wie sie den nun nutzlosen Hörer, der seine erheblich wichtige Rolle in meinem Leben einfach nicht spielen wollte, wieder auf seinen angestammten Platz am Telefonkorpus drückt. Oh, du lieber Augustin. Gleich darauf klingelt es erneut. Ich habe, wie so oft, wieder eine neue Chance bekommen, die Wanderrichtung zu ändern, und werde mich, wie immer, unfähig erweisen, die einmal eingeschlagene Route zu verwerfen.
    »Leo!«, schreit sie mich an, »was ist los, ich mach mir Sorgen.«
    »Hier bei Augustin«, ich klinge gereizt und ruhig, während mein Herz innerhalb von Sekunden auf Marathonlauf umschaltet. »Falsch verbunden.« Diesmal mache ich mir keine Mühe, den Hörer auf die Gabel zurückzulegen, sondern reiße mit einem Ruck das Kabel aus der Wand.
    *
    »Leo«, frage ich scheinheilig, »willst du mit mir Darts spielen?«
    Leo drückt sich mit dem Ellbogen von seinen vielen Kissen hoch, die Federn der Matratze quietschen, sein Tablett mit dem leeren Geschirr gerät in Schieflage, er erwischt mit dem einen Arm nur mehr seine Tasse, der Teller, aus dem er eben noch Borschtsch geschlürft hat, scheppert zu Boden und übrig gebliebene Rübenstücke fallen heraus, akkurate tiefrote Quader. Sie fallen wie kleine Würfel auf ein riesiges Spielbrett aus Holz und ich bin in Spiellaune, noch viel mehr als vorher.
    »Hier?«
    Leo sieht mich fassungslos an, die Tasse andächtig an seine Brust gedrückt. Er hat schon viel von mir gehört, mit dem er wenig anfangen konnte, aber das übertrifft scheinbar alles.
    »Ich habe seit zwei Jahren nicht mehr gespielt«, sagt er, »woher weißt du, dass ich überhaupt gespielt habe? Ich habe dir nichts davon erzählt.«
    Ich verfluche meine Wut, die mich zu unkontrollierten Aktionen hinreißt. Natürlich hat er mir nichts davon erzählt, so wie er nichts erwähnt, was mit seiner Exfrau zusammenhängt, dieses Kapitel seines Lebens ist zwar nicht abgeschlossen, aber gut zugesperrt.
    So gründlich wie die Lade in seiner Kommode, die ich während meiner Streifzüge durch die Wohnung längst entdeckt habe, ebenso wie den Schlüssel, den er in seinem ehemaligen Schreibtisch versteckt, der zum reinen Lagerplatz mutiert ist, mit hohen Türmen abgelegten Papierkrams darauf, mit Medizinflaschen und Fläschchen, alten Zeitungen, Bierdosen und vollen Aschenbechern durchmengt. Alle Tage wieder erklärt er mir, dass er heute darangehen wird, diesen Tisch in Ordnung zu bringen, um sich endlich hinzusetzen und seine berufliche Korrespondenz weiterzuführen. Er hat den wahren Grund seines Zustandes weder der Arbeit gemeldet noch seinen Kollegen, offiziell befindet er sich im Krankenstand, und ich ahne, dass er wirklich immer noch glaubt, aus diesem in seinen Beruf zurückzukehren und gesund zu werden, damit alles so weitergehen kann, wie er es gewohnt ist.
    Ich bin sicher, dass er auch damit rechnet, mich in diesem ersehnten Augenblick wieder fallenzulassen und sich jemanden Standesgemäßeren zu suchen. Er hat mich keinem einzigen Freund vorgestellt, nicht mal einem Bekannten, ich habe gehört, wie er seinem Nachbarn aus dem Stock darüber erklärt hat, dass ich eine günstige Putzfrau bin, und ich weiß auch, dass er angenommen hat, ich würde ihn nicht verstehen, weil er in starkem Dialekt gesprochen hat.
    Ich bin sehr hellhörig. Versuche all sein Kontaktaufnehmen zur Außenwelt zu verstehen, zu begreifen, zu

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