Die Erdfresserin
er den obersten Knopf öffnet, auf das Rascheln des Jeansstoffs an seinen stämmigen Waden entlang, auf das Zusammensacken auf dem Parkett, auf seine schwitzige Wärme an meinem Bauch, an meinem Rücken, auf das pfeifende Geräusch, das seiner Kehle entweicht, wenn er endlich eingeschlafen ist.
Ich beginne einen erneuten Rundgang durch das Vorzimmer, ich klopfe die Jacken ab, die alte Uniform, ich sehe unter den Bergen von alten feuchten Zeitungen nach, die den Boden bedecken, Krone , Österreich . Im Eck steht ein verwaistes Katzenkistchen, der Kater ist schon weg, er hat ihn zu seinen Eltern gebracht, obwohl das Tier ihm in schlaflosen Nächten Entspannung brachte, denn ich bin ein billigeres Tier, das sich selbst versorgen kann, wenn er zu schwach dazu ist. Ich lehne mich im Vorzimmer an die dunkle Furnierkommode. Mein Blick wandert unruhig, ohne dass ich ihm ein Ziel anbieten könnte. Es ist ein undefiniertes Gefühl, das mich so angespannt und sinnlos im Vorzimmer im Halbdunkel stehen lässt, fast so wie meine Mutter in unserem stand, als ich wieder einmal fortging, mit starrem Blick, der kein Gegenüber sucht und auch keines braucht, ich muss also an meine Mutter denken und dann unvermeidlich logisch an meinen Sohn.
Ob er auch so übel schwitzend am Bett meiner Mutter kniet, mit heiserer Stimme um Aufnahme bittend, dann fordernd, die Nacht ist tief und ihre Geräusche verwirrend, im Dunkel könnte alles wahr sein, was seine Bilder im Kopf ihm einreden wollen. Ob sie wohl aus ihrem immer leichten Schlaf erwacht, in der Hoffnung, der Atem an ihrer Wange könnte der ihres Mannes sein, endlich, und wie lange es wohl dauert, bis die Enttäuschung sie vollends aufweckt und die Träume sie endgültig der realen Finsternis um ihr Bett überlassen, in der bloß mein Sohn ist und sie, niemand sonst.
Sie sehen sich an, unverwandt sehen sie sich wohl an, ich sehe sie sich unverwandt ansehen, im Dunkeln, es ist noch lange kein Morgengrauen, mit wütender Angst, mit der Gewissheit, etwas Falsches zu bekommen, etwas Enttäuschendes, etwas, das sie nicht suchten, aber ohne das sie auch nicht weitermachen können, er in seiner Sehnsucht befangen, sie in ihrer Hoffnung, vereint durch die Bande, die ich ihnen aufzwinge mit meiner immer wiederkehrenden Abwesenheit. Draußen bellt ein Hund, der vom Nachbarn wahrscheinlich, den die zuschlagende Kinderzimmertür geweckt hat, die polternden Schritte im Gang, weil mein Sohn den Lichtschalter nicht findet und sich in seiner Unruhe nicht orientieren kann und gegen unsere alten Bauernkästen prallt. Ich sehe mich neben ihm stehen, dort im finsteren Gang zwischen den bemalten Bauernmöbeln, den rauhen Teppichläufer mit hineingewebten roten Hähnen unter meinen bloßen Fußsohlen, wie ich meinen Kopf müde an seine Schulter lege. Er riecht so vertraut, wie nichts sonst auf der Welt, ich kann die erbrochene Muttermilch an seinen Mundwinkeln noch riechen, ich lege meinen Kopf mit all seinem Gewicht an seiner Schulter ab und sage:
»Wann stirbst du endlich.«
Das Telefon, das auf der Kommode steht, läutet. Festnetz, das Leo nie verwendet, läutet in meine Vergangenheit hinein und holt mich aus ihr hervor, ungebeten, aber erfreulich, und ich brauche einen Moment, um mich zurückholen zu lassen, und es klingelt nochmals, schrill und intensiv. Leo regt sich in seinem Schlafzimmer und stöhnt und stammelt irgendetwas, und ich hebe schnell ab, und sie ist dran.
»Leo?«
Ich höre ihre Stimme das erste Mal, hoch, etwas hysterisch, aber immer noch mädchenhaft. Ich schmunzle, es ist auch wirklich komisch, immerhin habe ich seit zwei Stunden versucht, ihre Nummer ausfindig zu machen, habe Leos Arbeitstisch durchwühlt, seine Kleider. Ich habe ihre Briefe gefunden, alte, von sehr viel früher, bevor sie diese Wohnung verlassen hat, sogar bevor sie das erste Mal eingetreten ist. Naive Briefe auf kitschigen Ansichtskarten, eingewickelt in ein Tuch, das sie bestickt hat, ihr Foto im Goldrahmen obenauf, umgedreht mit dem Gesicht nach unten in ihre eigene Schrift hinein, ihre im Lachen verengten Augen auf ihre eigenen Trinksprüche und Glückwünsche gebohrt, erstarrt hinter der Brille mit Goldrand. Alles an ihr ist Gold, Haut und Haar und Ausstattung, nur die Zähne noch nicht. Die blonden Strähnen mit einer eigenartigen Föhnwelle ins Gesicht frisiert, mit Ohrringen. Um den schon damals sehr breiten Hals eine Kette mit kleinem Kreuz, das in ihre Dirndlbluse hängt, auf die sonnenverbrannte Haut
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