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Die Erdfresserin

Die Erdfresserin

Titel: Die Erdfresserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julya Rabinowich
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ich war noch nicht einmal beim Arzt. Meine Augen kneife ich zusammen und werfe Falten um die Schläfen.
    Da ist er.
    Sein Name auf seinem neuen Zuhause.
    Diesmal sind die Nachbarn anständig ruhig und die Rosen taufrisch. Ich fühle mich kurz um die Bedeutung meiner Rosen betrogen, was machen sie hier, hier, wo es nichts Gutes mehr gibt, nichts, was mein Zuhause werden könnte, nichts, was es wert wäre, da zu sein. Neben der Steinplatte brennt ein rotes ewiges Licht, das mich sofort an das rote Licht erinnert, in dem wir uns das erste Mal gesehen haben, mein ewiges rotes Licht ist also nicht anders als seines. Die Erde um sein Grab herum ist frisch wie seine Blumen, sämig, locker, sie verjüngt sich zu einem schokoladedunklen Kuchen, gekrönt von Marmorglasur, auf der wie auf einer Geburtstagstorte Kerzen brennen.
    Ich sehe mich um, vorsichtig und unauffällig wie immer, aber völlig unbegründet, denn seine Nachbarn links und rechts haben gerade keinen Besuch. Ich strecke meine Hand aus und streiche über die glatte Fläche des Grabsteins, meine Hand rutscht geübt unauffällig hinunter, die Länge der Kante entlang, und berührt zart die erste Erdschicht, und spreizt sich auf und bahnt sich ihren Weg tiefer, verschwindet bis zum Fingerglied darin und wühlt. Das ist tröstlich, das ist beruhigend, und ich gehe in die Hocke und nähere mein Gesicht der Feuchtigkeit der Erde und rieche daran, und das Gefühl, mich hineinzuschmiegen, wird unerträglich schnell unerträglich intensiv, so schnell ist es noch nie gegangen, ich fühle die Kontraktionen in meinem Inneren anwachsen, die mich ausdrücken wollen, mit ihr vermischen, vermengen und neu formen aus neuem Ton und neuen Rippen, ich atme tief und schnell, ich stöhne laut, ich schlage mir selbst auf die Finger mit den Fingern der anderen Hand, aber es ist vergebens, die Schwerkraft verdreifacht sich ohne Vorwarnung und reißt mich hinab zu Leos Grab und in seine Torte hinein, und ich würge und spucke und lecke dann alles Aufgewühlte unter meinem tränenfeuchten Gesicht ab, und es ist immer noch tröstlich, wenn auch ziemlich widerlich, und ich verschlinge große Stücke aus dem von mir mit meinem Gesicht gerührten Erdteig, in dem ich schalen Beigeschmack schwitzigen Fleisches wahrnehme, ich wühle in Leo, ich dringe in ihn ein, verdaue ihn, untrennbar diesmal, bleibend, ich werde ihn mit mir nach Hause bringen, wenn ich aufbreche, wenn ich mich nur nicht vorher übergeben muss, während der Brechreiz parallel zum Hunger wächst und ich mich nicht einordnen kann zwischen Fressen und Kotzen und zwischen dem Hineinschaufeln und Hinausspeien schwingen muss.
    *
    »Waren Sie jemals wieder in Leos Wohnung?«
    »Nein. Seine Eltern haben sie versperren lassen. Und danach war ich bei Ihnen.«
    »Was würden Sie sich jetzt wünschen, wenn Sie könnten?«
    »Erzählen Sie mir ein wenig von sich.«
    »Ich bin der, der Ihnen zuhört.«
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

Teil II
    Danach
    Fire on Babylon
Sinéad O’Connor
    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

17
    Ich erinnere mich: Die Welt war weiß und roch sauber. Gestärkt fühlte sie sich an. Gereinigt. Von all dem Schmutz befreit, vom Staub meiner Straße, von meinem Arbeitsschweiß und dem Geruch meines Sohnes und von den Tränen meiner Mutter. Ich holte tief Luft und die Luft roch sauber, klinisch, hundertprozentig frisch, unirdisch. Unwirklich.
    Ich weiß wieder ganz genau, wie es war, ich bin sofort dort, mitten im Reinen. Ich atme den Rest des Drecks aus mir heraus, er bleibt in mir stecken, und ich huste ihn nochmals hoch und spucke ihn seitwärts auf den Polster, der sagenhaft hell an meiner Wange aufragt, weil ich keine Kraft habe, meinen unnützen, schweren Kopf anzuheben, und die Feuchtigkeit rinnt meine Haut entlang und verliert sich in den Stofffalten.
    Der Raum ist hell und sauber und in beständiger Bewegung, er hält nicht einen Augenblick inne, während ich versuche, ihn immer wieder von vorne zusammenzusetzen, er entwindet sich mir in seltsames Licht hinein, das mich blendet.
    Ich lecke über meine Lippen: Sie sind schleifpapiertrocken.
    In einer erneuten Karussellrunde fährt ein Glas mit Wasser an mir vorbei, das auf einer silbernen Fläche neben dem Bett abgestellt ist. Ich hebe meine Hand aus dem Stoff um mich heraus und versuche danach zu greifen und fasse ins Leere.
    »Guten Morgen«, sagt jemand an meinem Bett und

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