Die Erfinder des guten Geschmacks
Widersprüche gar nicht erst auftauchen und Fragen nicht gestellt werden. Nüchtern betrachtet, war der frühe Champagner ein Wein aus mäßiger, nördlicher Lage. Hefen verblieben in der Flasche, noch dazu wurde Zucker dazugemischt. Wenn man ihn als vom Sterne trinkenden Mönch erfundenes Produkt für Adel und Elite vermarktet, dann geraten die Genießer ins Träumen. Könnte es sich mit manchen »Erneuerern« und »Erfindern« in der Küche nicht ähnlich verhalten?
»Nach französischer Art«
Während der Champagner noch in den Kinderschuhen steckte, machte ein anderes Getränk bereits Karriere: der Kaffee.
Kaffee war in Istanbul schon 1517 verbreitet. Ein gutes Jahrhundert später kannte man ihn in Venedig. Am französischen Hof breitete sich der Kaffeekonsum seit 1669 aus. Soliman Mustapha Raca, Gesandter des Sultans Mehmet IV. ließ ihn dort regelmäßig ausschenken. Nach seiner Heimfahrt verkauften fliegende Händler die Bohnen auf den Pariser Straßen. Das Café Procope eröffnete 1684 in der Rue des Fossés Saint-Germain. Ein gewisser Francesco Procopio schenkte hier ab 1686 ein neues Modegetränk namens Café aus, reichte dazu Gebäck und Früchte und bot den Parisern Speiseeis nach Rezepten aus seiner Heimat Italien. Stammgäste über die Jahrhunderte waren Racine, Diderot, Rousseau, Voltaire, Danton, Marat und viele andere.
Das ausgehende 17. Jahrhundert kündete bereits vom »Raubbau« an der Natur: Um das Jahr 1680 herum starb der letzte Dodo auf Mauritius, ein Vogel, der des Fliegens nicht mehr mächtig war. Holländische Seeleute schätzten die rund 23 Kilo schweren Vögel wegen ihres Wohlgeschmacks. Heute gilt der Dodo als Prototyp einer Tierart, die durch Menschliches Einwirken ausgerottet wurde. To go the way of the Dodo , heißt eine englische Redensart. Soll heißen: aussterben.
Zumindest in Frankreich entwickelte sich zeitgleich zu den Küchen-Neuerungen ein neues kulinarisches Selbstbewusstsein. Historiker Philippe Gillet weist in einem Interview darauf hin, dass der Philosoph Montaigne freimütig zugab, »schnell und schmutzig« zu essen, also schlechte Tischmanieren zu besitzen. Bis 1650 erstreckte sich die Leib- und Magenregion der Gourmets laut Gilet vom Schwabenland bis nach Mailand. Im Osten war Zürich die Grenze. Die dortigen Wirte galten fast allen Reisenden als ehrlicher und freundlicher, die Speisen als besser, und von der Tischdecke über das Besteck bis zur Serviette wurde auch die Tischkultur gelobt. Montaigne beschrieb die dortigen Auberges als »von solch gutem Geschmack, von solch guter Unterkunft, dass die Küchen unserer französischen Adligen kaum vergleichbar scheinen, und es gibt nur wenige mit derart (schön) hergerichteten Sälen.«
Neuer gastronomischer Nationalstolz manifestierte sich im Reisebericht eines Adligen namens Jouvin. Der fiel vom Pferd in den Schlamm, kam bei einem polnischen Adligen unter und berichtete Ende des 17. Jahrhunderts ausgiebig darüber, welches Vergnügen es für die Frau des Hauses war, »mich nach französischer Art essen zu sehen«. Auch der Hinweis auf die Eifersucht des Hausherrn fehlte nicht. Zuvor hatte Just Zinzerling aus Thüringen geschrieben: »Ihrem Charakter treu suchen sie (die Franzosen) die Eleganz bei der Mahlzeit wie allerorten.«
Diese Eitelkeit ist im Laufe der Geschichte regelmäßig den »Nicht-Franzosen« aufgefallen. Sie berichteten auch, dass die Qualität leide, wenn das gastronomische Selbstbewusstsein zu stark ausfalle. Ein deutscher Reisender namens Joachim Christoph Nemeitz, seines Zeichens Hofrat, erklärte 1727, die Pariser Privatköche seien zwar hervorragend, die Wirte würden sonst aber ihrem großen Ruf nicht gerecht. »Fast alle Welt glaubt,dass man in Frankreich und Paris gut isst, aber man täuscht sich, das ist sicher […] Manchmal kann man Mahlzeiten guten Geschmacks bei den Rôtisseuren bekommen. Aber in den Auberges isst man nicht allzu gut, entweder ist das Fleisch nicht gut zubereitet, oder man isst täglich dasselbe und hat selten Abwechslung.«
Einer, den kommende Generationen zur Inkarnation französischen Qualitätsbewusstseins erklärt haben, war François Vatel. Am 24. April 1671 tranchierte er sich selbst mit dem Schwert, weil der Fisch nicht kam. Lieber sterben, als den Gästen alternde Meerestiere zu servieren. So konsequent kann nur ein französischer Koch agieren. Der heroische Akt des Selbstmords aufgrund einer verspäteten Warenlieferung war einen Film mit Gérard Depardieu
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