Die Erfinder des guten Geschmacks
sich, bestimmte Produkte zu bestimmter Zeit zu liefern. Manchmal verlangten die Lieferanten einen Vorschuss, manchmal gaben sie sich mit einerPauschalsumme zufrieden. Mit einer Reihe von Klauseln versuchten sich die pourvoyeurs gegen Zahlungsausfälle zu schützen. Denn die Adligen gaben kolossale Summen aus, schon eine Zahlungsverspätung hätte für viele den Ruin bedeutet. »Keine Garantie« gab es also, falls der Adel in den Krieg oder auf eine Landpartie aufbrechen sollte, was die Lieferanten gezwungen hätte, neue Transportwege zu erschließen. Ein Vertrag aus dem Jahr 1670 legt eindeutig fest, dass der Lieferant ein Recht auf einen Aufschlag von 25 Prozent hatte, sollte sich sein Kunde, der Herzog von Orléans, mehr als 28 Meilen vom ursprünglich vereinbarten Lieferort entfernen.
Der pourvoyeur des Hauses Condé hatte schon im Dezember 1669 präzisieren lassen, dass die Feste, die der Prinz dem König oder Mitgliedern in der Königsfamilie offerieren könnte, vom Vertrag ausgeschlossen waren. Höchstwahrscheinlich musste Vatel auch 1671 für einen solchen Anlass auf die gewohnten Lieferanten verzichten. Der Zeremonienmeister war folglich auf sich selbst gestellt und traf eine fatale Entscheidung. Er hätte, sozusagen als Plan B, auf Süßwasserfische zurückgreifen können, die einfach und frisch zu besorgen gewesen wären. Doch sein Gast war der König und Seefisch galt als hochwertiger. Auf Konservierungstechniken konnte er sich ohnehin nicht verlassen. Eingesalzener Fisch wäre eines königlichen Festmahls unwürdig gewesen. Vatel schickte also Angestellte des fürstlichen Haushalts zum Einkauf an die Küste, wahrscheinlich an den Ärmelkanal. Eine logische Wahl: Je wärmer es war, desto schneller verdarb der Fisch. Ende April blieb da für Chantilly nahe Paris nur Ware aus der Normandie.
»Er sandte aus in alle Häfen«, schrieb Madame de Sévigné. Alle waren es natürlich nicht, aber der wichtige Fischereihafen Dieppe wird darunter gewesen sein. Aus kulinarischer Sichtmachte es Sinn, mehrere Häfen zu besuchen. Der Tagesfang fiel damals wie heute von Ort zu Ort unterschiedlich aus. Natürlich wollte Vatel für seine königlichen Gäste nur das Allerbeste: Im April waren das Seezunge, Steinbutt und Barbe, denn auch Fisch hat eine »Saison«, eine Jahreszeit, während der er besonders gut schmeckt. Damit Vatels Rechnung aufging, mussten die Fischer zwischen Mittwochnachmittag und Donnerstagmorgen mit der gewünschten Ware im Hafen einlaufen. Zwar gab es schon damals verschiedenste Methoden der Fischerei, doch für Netzfang waren Fischer auf gutes Wetter angewiesen. Und sollten sie in Küstennähe nicht in gewünschter Qualität fündig werden, mussten sie weiter auslaufen, was natürlich ihre Rückfahrt verzögerte.
Einmal an Land, wurde der gefangene Fisch sortiert. Die schönsten und größten Fische kamen in eine Verpackung aus Stroh, die torquette genannt wurde. Für ein königliches Diner gehörten alle Meerestiere zu dieser Klasse, die Transportverpackung nahm daher besonders viel Zeit in Anspruch.
Schließlich konnte auch der Straßenzustand Verspätungen verursachen. Seit Mitte des 16. Jahrhunderts beauftragte das Parlament von Paris einfache Bürger, die Straßen zu kontrollieren. In der Regel waren das Fischtransporteure, die man ironisch die »Auserwählten des Meeres« nannte. Doch zehn Jahre vor dem fatalen Fest wurde diese Straßenaufsicht von Finanzminister Colbert abgeschafft. Nur logisch, dass sich der Straßenzustand danach verschlechterte. Starke Regenfälle waren der Albtraum jedes Transporteurs. Die voll beladenen Wagen konnten im Schlamm versinken. Madame de Sévigné berichtet vom »guten Wetter am Donnerstag«, erklärt jedoch auch, dass vor der fatalen Fischverspätung »schreckliche Regenfälle« stattgefunden hätten.
Vom Fang über das Verpacken bis zum Transport gab es also etliche Gründe, weshalb der Fisch zu spät nach Chantilly kommen konnte.
Alexandre Dumas, der Autor der Drei Musketiere , kritisierte Vatel deshalb post mortem als wenig vorausschauenden Menschen, dem es an Vorstellungsvermögen bezüglich alltäglicher Unfälle mangelte.
Der Koch mit den drei Buchstaben: LSR
Drei Jahre nach Vatels Ableben beschreibt der nur unter seinen Initialen LSR bekannte Autor der L’art de bien traiter ein Festmahl, das einem Prinzen würdig gewesen wäre: »Die Fleischpyramiden, die überwürzten, abscheulichen Brühen und die dicken Suppen sind nicht mehr nach unserem
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