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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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frische Sardinen aus Dieppe, grüne Austern aus Marenne und England, weiße Austern, Anchovis und Thunfisch. Dazu Süßwasserfische wie Karpfen aus der Seine, aus Melun, der Aisne, der Loire, Orléans. »Doch auch (Karpfen) aus dem Rhein, der Saône und der Rhône werden sehr geschätzt, können aber nicht bis nach Paris transportiert werden.«
    Oliven aus Verona, große und kleine Oliven aus Spanien und der Provence, Makronen aus Lyon, Kastanien aus Limoges, Trüffeln aus dem Périgord, der Gegend von Anjou, dem Quercy und Montauban, Mirabellen aus Metz und viele andere Früchte. Auch Käse unterliegen der Saison, da sich im Laufe eines Jahres das Futter der Kühe verändert. Frisst die Kuh saftiges, grünesGras, fällt der Geschmack der Milch anders aus, als wenn sie im Winter auf Heudiät gesetzt wird. Brie de Meaux, Schweizer Käse, Vacherin und Gruyère, Roquefort, Höhlenkäse aus der Auvergne (wahrscheinlich ein Blauschimmelkäse) sowie Blauschimmelkäse aus Holland fanden Gnade vor den Augen und dem Gaumen des Autors.
    All diese Köstlichkeiten waren schon im Paris des 18. Jahrhunderts verfügbar, noch dazu kannte Marin die Spezialitäten der Nachbarländer und wusste um die Transportmöglichkeiten.
    Damit war er keine Ausnahme: Der britische Professor Richard Bradley hatte schon 1727 in The Country Housewife and Lady’s Director die regionalen Käse Englands detailliert beschrieben. Ein Werk namens De re cibaria aus der Feder von Jean Bruyérin-Champier listete bereits 1560 die guten Zutaten aus dem Reich Franz’ I. auf.
    Clevere Geschäftsleute perfektionierten im 18. Jahrhundert schließlich die Distribution der Viktualien in Frankreich: Im Jahr 1767 eröffnete das Bureau du Comestible, Europas erster Delikatessenversand. »Das Bureau du Comestible, in Paris, Rue du Mail, hat zur Aufgabe, den Verkehr und den Absatz aller Waren im Zusammenhang mit der Tischkultur (service de table) zu erleichtern und in der Provinz und auf dem Lande die Artikel, die man braucht und die immer aus den besten Quellen stammen, auszuliefern«, hieß es damals in der Gazetin du Comestible , einem eigenen Katalog, der zum Beispiel Andouilles (Innereienwürste) aus sechs verschiedenen Städten enthielt, dazu lebende Krebse aus Molsheim im Elsass oder Forellen aus dem Genfer See, die freilich vor dem Transport gekocht wurden. Das Büro nahm lediglich eine Kommission von drei Prozent, Einkäufe wurden zur Hälfte im Voraus und zur Hälfte bei Lieferung bezahlt. Endlich konnte ein Adliger seine Gäste mit(halbwegs) frischen Produkten vom anderen Ende Frankreichs überraschen, endlich konnte auch ein Bretone die Trüffeln aus dem Périgord genießen. Letztlich aber war dieser Versandhandel seiner Zeit zu weit voraus: Neben Transportpannen waren die Händler und Erzeuger nämlich selbst das größte Hindernis auf dem Weg zum Erfolg. Sie fürchteten, dass die Veröffentlichung ihrer Preise und ihres Bestands beim damaligen Äquivalent unserer heutigen Finanzämter landen würde, um sie entsprechend zu besteuern.
    Immerhin: Die Direktoren des Bureau du Comestible vertrauten darauf, dass sich eine funktionierende Logistik aufbauen ließe. Ihre Geschäftsidee zeigt: In Frankreich gab es damals nicht nur eine große Zahl von Feinschmeckern, die an solchen Spitzenprodukten interessiert waren, sondern auch allseits geschätzte regionale Spezialitäten mit einem überregionalen Renommee.
Das erste Restaurant
    Im Jahr 1762 eröffnete in der Rue des Poulies (heute Rue du Louvre) in Paris das eigenartige Lokal eines gewissen Monsieur Boulanger. Wahrscheinlich war Boulanger (was im Französischen »Bäcker« bedeutet) nur ein Spitzname und der Unternehmer hieß tatsächlich Roze de Chantoiseau. Auf jeden Fall gab es bei ihm Restaurat , eine sättigende Fleischbrühe, für die drei Rebhühner, zwei Kapaune, dazu etwas Kalb- und Hammelfleisch einen halben Tag vor sich hin köchelten. Diese Brühe bot Boulanger zusammen mit einigen anderen Speisen wie Hühner mit grobem Salz seinen Kunden an. Ragouts durfte er nicht servieren, dies war das Privileg der Traiteure.
    »Venite ad me, omnes qui stomacho laboratis, et ego restaurabo vos«, warb er vor seiner Tür. Frei übersetzt: »Kommt zu mir, ihr, die euer Magen leidet, und ich werde euch restaurieren«, soll heißen: eure Gesundheit wiederherstellen. Solche und ähnliche Bouillons gab es seit Jahrhunderten. Doch hier konnte jeder an kleinen Marmortischen speisen, wann immer er wollte. Die durchaus

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