Die Erfinder des guten Geschmacks
große, höfische Küche zelebriert, eignen sich Menons Rezepte auch für den Alltag. Da der illustre Unbekannte eine neue Küche propagiert, will er mit einem Stapel Kochbücher scheinbar gleich die gesamte Kochkunst revolutionieren:
La Cuisinière bourgeoise (Paris 1746)
Die »bürgerliche Köchin« wendet sich explizit an ein weibliches Publikum und vereinfacht die Rezepte der großen Küche für den Hausgebrauch.
La Science du Maître d’Hôtel cuisinier, avec des Observations sur la connaissance et la propriété des aliments (Paris 1749)
Les Soupers de la Cour, ou l’art de travailler toutes sortes d’aliments pour servir les meilleures tables (Paris 1758)
Traité historique et pratique de la Cuisine (Paris 1758)
Le Nouveau Cuisinier français (Paris 1758)
Manuel des Officiers de bouche (Paris 1759)
La Science du Maître d’Hôtel confiseur (Paris 1768)
Letzteres widmete sich allein den Nachspeisen, während Menon sich in La Cuisinière bourgeoise explizit an ein weibliches Publikum und »die bürgerliche Köchin« wandte und die Rezepte der großen Küche für den Hausgebrauch vereinfacht wiedergab. Generell waren Menons Werke an der Praxis in den Haushalten orientiert. In La Science du Maître d’Hôtel cuisinier erläuterte er seine Methoden:
»1. Ich habe versucht […] präzise zu sein, sodass diejenigen, die dieses Buch nutzen, um die Kunst der Modernen Küche zu lernen, nicht durch die Länge der Redebeiträge abgehalten werden […] Der einfache Stil ist so der einzig angemessene […]
3. Ich habe versucht, zu vermeiden, so weit ich konnte, große Ausgaben für Eintöpfe vorzunehmen, ohne dass deren Delikatesse darunter gelitten hat.
4. Ich habe an den Anfang [dieses Buches] eine Tabelle der Gerichte in diesem Werk gesetzt, um die Mahlzeiten nach den vier Jahreszeiten zu ordnen.«
Menon kochte wirtschaftlich und praktizierte die viel beschworene Saisonküche. Viele seiner Rezepte könnten heute noch nachgekocht werden:
R EZEPT VON M ENON
Poularde à la Cuisinière
Eine Poularde federn und die Innereien entfernen, mit ihrer Leber, gemischt mit etwas Butter, Petersilie, Schnittlauch, einer Spitze gehackten Knoblauch, Salz, Pfeffer, zwei Eigelb füllen, am Spieß braten; wenn sie gebraten ist, von oben mit warmer Butter gemischt mit einem Eigelb begießen, mit Brotkrumen bedecken, eine schöne goldene Farbe annehmen lassen und mit einer Sauce nach folgender Art servieren. In eine Kasserolle ein halbes Glas Bouillon geben, ein wenig Essig, so viel wie ein halbes Ei, Butter gemischt mit einer Fingerspitze Mehl, Salz, Pfeffer, geriebene Muskatnuss über dem Feuer binden lassen.
In der Cuisinière bourgeoise nutzte Menon erstmals ein Vokabular, das uns bis in heutige Kochbücher und Fernsehsendungen verfolgt: Gebratenes nimmt eine »schöne goldene Farbe« an. Der Küchenchef rät zu »einem guten Huhn«. Gewiss rechnete Menon nicht damit, dass Köchinnen ohne diesen Rat zu schlechten Hühnern griffen; die sprachliche »Verniedlichung« könnte dazu gedient haben, Anfängern den Einstieg zu erleichtern. Überhaupt tragen seine Werke viele Merkmale eines Kochbuchs für Anfänger. Bei weniger alltäglichen Zutaten erläutert Menon sogar, wie man sie isst und wie die Zubereitung heißt:
R EZEPT VON M ENON
Die Austern
Sie werden normalerweise roh mit Pfeffer gegessen, man serviert sie auch gegrillt […] wenn sie sich öffnen, sind sie gar, sie heißen »sautierte Austern«.
Marin hat die französische Küche des 18. Jahrhunderts kodifiziert, Menon hat sie zwar vulgarisiert, ihr im Gegenzug jedoch auch zu einer breiteren Basis verholfen: Generationen von Köchinnen lernten dank der Cuisinière bourgeoise , die 1746 erstmals erschien und über nicht weniger als 200 Jahre von anderen Köchen interpretiert, korrigiert und erweitert wurde.
Sowohl Marin als auch Menon vollendeten durch die griffige Formel »Nouvelle Cuisine« eine Gründungslegende, die nachfolgende Generationen von Köchen nutzen sollten, um ihren eigenen Stil zu bewerben und zu vermarkten. Quer durch die Jahrhunderte haben Kochbuchautoren die »alte Küche« ihrer direkten Vorgänger als »gotisch«, »kompliziert« und »schwer« beurteilt. Fortan existierte eine Erfolgsformel, mit der sie Interesse generierten:
Es gibt eine neue Küche.
Diese neue Küche ist gleichzeitig Kunst und Wissenschaft.
Sie ist leichter und bekömmlicher als ihre Vorgänger.
Nicht selten werden ihre Protagonisten als Erfinder mindestens eines
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