Die Erfinder des guten Geschmacks
anliegenden Samthosen hießen Incroyables , die »Unglaublichen«. Ihr weibliches Gegenstück waren die Merveilleuses , die »Herrlichen«. Sie ließen sich für ihre Garderobe von griechisch-römischen Tuniken inspirieren. Nahezu transparente Stoffe trugen sie möglichst körpernah.
Wenn man ausging, dann ins Restaurant. Vier von zehn neuen Geschäften in Paris würden sich der Gourmandise widmen, erklärte Grimod de la Reynière 1804 im Almanach des Gourmands . Eines davon war das Café de la Paix, gegründet 1822, dann gab es die Maison Chevet, die später eine eigene Kochschule eröffnete, und, erfolgreich wie eh und je, die Frères Provençaux. Dort wurde die köstliche Canard aux perles , die Ente mit Perlen, serviert, die 1833 nach einem Essen mit Prinz Gallitzin von Roger de Beauvoir folgendermaßen beschrieben wurde: »Stellen Sie sich eine gebratene Ente vor, jedoch bereichert durch eine Farce aus Coulis von Flusskrebsen, Périgord-Trüffeln und Pilzen. Sie präsentiert sich unseren Augen mit einem Rosenkranz von Perlen, die um ihren Hals, rund um den Körper und den Schwanz festonnieren. Das ist ein origineller Effekt, nicht wahr?«
Nur ein paar Schritte weiter lag das Café de Chartes, heute unter dem Namen Le Grand Véfour bekannt, das der große Koch Jean Véfour zu ungeahnten Höhen führte. »Nirgends bereitet man besser ein Sauté, ein Hühnerfrikassee Marengo, eine Geflügelmayonnaise«, kommentierte Grimod de la Reynière, der Urvater aller Gastronomiekritiker, damals die Küche – obwohl Véfour gut 2000 Gerichte pro Tag servierte.
Der erste Kritiker
Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière (1758-1838) hatte es nicht immer leicht im Leben. Seine Hände waren verkrüppelt, seine Schrift war kaum zu entziffern. Der studierte Jurist und praktizierende Anwalt wanderte im Alter von 28 Jahren gar in den Knast, weil er sich in Form einer Satire über einen Dichter geäußert hatte. Während der ersten Monate der Französischen Revolution soll er sich als Verkäufer von Gemischtwaren und Parfüms durchgeschlagen haben. Später wurde er Theaterkritiker.
Doch zum einen hatte er schon als junger Mann dank seiner reichen Familie die große Küche kennengelernt, zum anderen war seine Haftanstalt ein Kloster, wo man oft und reichhaltig den Freuden der Gourmandise zusprach. Der Theaterkritiker wechselte das Fach, schrieb fortan über Essen und Trinken, publizierte 1802 den Almanach des Gourmands und erfand auch gleich noch den Blindtest: Jeden Dienstag traf sich seine Jury Dégustateurs , die für Traiteure und Restaurateure strenge Noten verteilte.
Getestet wurde bald im 1804 gegründeten Restaurant Rocher de Cancale, das für seine Austernplatten und eine reichhaltige Speisekarte mit nicht weniger als 30 Desserts berühmt war.
Damals sahen Restauranttests ein wenig anders aus als heute: Der Wirt oder Traiteur präsentierte sein Gericht im Rocher de Cancale vor Grimod und seiner Jury. Die rechtfertigte ihre Urteile mit möglichst geschwurbelten Worten und gab eventuell danach ein Gütezertifikat an den Restaurateur, das dieser aushängen konnte. So ein Zertifikat, hieß es, könne den Umsatz glatt verdoppeln, auch wenn Unzufriedene meinten, ein monetärer Gruß an die Kritiker könnte die Chancen auf das begehrte Stück Papier deutlich erhöhen. Damals war das nur ein Gerücht.
Nach dem Ableben seiner Eltern zog sich Alexandre Balthazar Laurent Grimod de la Reynière in ein Schloss zurück. Als der sprichwörtlich »größte Gourmand unter den Gelehrten und der gelehrteste unter den Gourmands« ist Grimod de la Reynière Feinschmeckern heute noch ein Begriff. Sein Urteil war gefürchtet, auch wenn er sich, zum ersten Mal in der Geschichte, als Autor vorrangig dem Beschreiben und Vergleichen von Gerichten widmete.
Paris war auf dem Weg in die Amüsiergesellschaft, was die Stellung der Köche kräftig aufwertete. Die Machtergreifung Napoleons (1769-1821) und seine Krönung zum Kaiser 1804 änderten daran nichts. Frankreichs Armee führte er auf Feldzüge bis nach Ägypten und vor die Tore Moskaus, während in Paris das Leben zunächst wie gewohnt weiterging. Schließlich hatten staatliche Reformen zu einem Wirtschaftsaufschwung geführt: Die Pariser Börse wurde errichtet. Ein neues Bürgerliches Gesetzbuch, der Code Napoléon, schuf Rechtssicherheit, verstärkte das Recht auf Privateigentum und verbot Streiks. Die »Banque de France« wurde 1800 gegründet, die seit 1803 neues Geld, den Franc
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