Die Erfinder des guten Geschmacks
Hühnchen mit kalter Sauce auf der Basis von Eigelb und Öl servierte. Mayennaise soll er sie im Gedenken an seinen Herrn genannt haben. Auch dem Koch des Herzogs von Richelieu wird die Sauce zugeschrieben. Nach Einnahme von Port Mahon auf den Balearen kreierte er, ganz klar, die Mahonnaise . Carême hingegen plädierte für das Wort Magnonnaise , das er vom Verb manier (»handhaben«, »hantieren«) ableitete.
Einerseits verwendete er zur Stützung seiner Kreationen allerlei Produkte, die man besser nicht verspeiste. Gefärbt wurden seine Zuckergespinste mit Blattgold, Farben aus Geschäften für Malerbedarf oder mit Cochenille, getrockneten und zermahlenen Läusen, die heute noch als Zusatzstoff in Nahrungsmitteln landen. Andererseits schwor er auf die besten Zutaten: Butter aus Isigny, Kirschen aus Montmorency, Orangen aus Malta.
Carêmes Küche sollte gesünder und einfacher als die seiner Vorgänger ausfallen, wobei er mit einfach nicht simpel oder puristisch meinte. Er schaffte den Überfluss an Gewürzen ab, die ein Zeichen des Reichtums waren. Auf Ingwer, Zimt und Koriander verzichtete er weitgehend. Auch diverse Mischungen von Fisch und Fleisch verbannte er von den Tellern, lästerte über »Hechte und Karpfen à la Chambord, deren Garnitur aus Kalbsbries gespickt mit Speck, danach unschuldigen Tauben mit Hahnenkämmen« bestand. Lächerlich fand er das. Abschaffen wollte er jedoch nur die Mischung von Fisch und Fleisch, seine eigenen Gerichte waren nicht weniger opulent. Lachs à la Duperré zum Beispiel. Der wurde in einer Bouillon mit süßem Sauternes-Wein gegart und mit Steinbuttschnitzeln nebst Sauce hollandaise dekoriert, dazu kamen sechs Dutzend Austern, 24 Krebsschwänze sowie 24 Champignons, all das garniert mit Croûtons und »Milch« vom Karpfen ( laitance , das Sperma desFisches) sowie weiteren Krebsen, dieses Mal geeist, und einem Croûton in Herzchenform.
Gleichzeitig glaubte Carême fest daran, dass gute Ernährung der Gesundheit förderlich sei: »Das Talent eines guten Kochs erhält die Gesundheit besser als die falsche Wissenschaft mancher Doktoren.« Bouillons, Gewürzen und Kräutern ordnete er Wirkungen zu. Thymian, Bohnenkraut und Basilikum etwa waren für ihn appetitanregend, stärkten Magen und Nerven und regten die Verdauung an. Kerbel reinigte seiner Meinung nach das Blut.
Während des Wiener Kongress vom 18. September 1814 bis zum 9. Juni 1815 kam dem Koch gar eine Nebenrolle in der großen Politik zu. Nach der Niederlage von Napoleon im Jahr 1814 trafen sich dort die Delegationen der europäischen Staaten mit dem Ziel, Europas Landkarte neu zu definieren. Nicht weniger als 25 Jahre Krieg trennte die Verhandlungsparteien. Es war ein Treffen unter Feinden. Überschattet wurde der Kongress von Napoleons Rückkehr aus dem Exil während der Herrschaft der 100 Tage und seiner endgültigen Niederlage bei Waterloo am 18. Juni 1815.
Frankreich ging als Verlierer in die Verhandlungen mit einer Koalition aus Österreich, Russland, Großbritannien und Preußen. Angesichts der dramatischen Ausgangslage verließ sich Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, genannt Talleyrand, nicht nur auf sein Verhandlungsgeschick. Er kam mit seinem persönlichen Klavierspieler, seiner hübschen Nichte, genug Champagner für alle Gäste und natürlich Antonin Carême, dem bekanntesten Koch seiner Zeit.
Weder die Gerichte des Kochs noch der Schampus waren ein Geschenk, Talleyrand ging es darum, sozialen Status und französische Kultur zu demonstrieren. Üppige Gelage erlaubten esihm, mit den Vertretern anderer Länder abseits der politischen Problematik zu plaudern oder bei informellen Gesprächen Informationen zu sammeln. Als sich König Ludwig XVIII. um den Fortgang der Verhandlungen sorgte, fragte er Talleyrand, ob erBotschaftspersonal zum Kongress beordern solle. Der wiederum antwortete, es würden eher Köche als Diplomaten benötigt.
Marie-Antonin Carême präsentiert sich hier in perfekter Intellektuellenpose. Ein Vorbild für den Berufsstand auch in Sachen Kommunikation.
Carême beschrieb die Küchen als »Abgrund an Hitze«, betonte aber gleichzeitig, dass die Ehre seinen Einsatz verlangte. Allein 48 Vorspeisen wurden vor den Hauptgerichten aufgetischt, wobei die Strategen selbst Fehler einplanten. Als der französische Diplomat einen riesigen, prachtvollen Lachs servieren ließ, landete das Gericht vor allen Gästen auf dem Fußboden. Talleyrand blieb ruhig und verlangte
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