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Die Erfinder des guten Geschmacks

Die Erfinder des guten Geschmacks

Titel: Die Erfinder des guten Geschmacks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Zipprick
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sich in einer ziemlich großen Halle wieder, wo ein respektvoller Diener in Livree prompt den Herren ihre Mäntel und den Damen ihre Verhüllung abnimmt. Auf der linken Seite gibt es eine große Falt-Tür zu drei öffentlichen Räumen en suite , die Blick auf die Rathausgärten bieten, sie sind mit kleinen Tischen eingerichtet – einige für zwei, manche für vier, manche für sechs Personen. Hier ist ein sehr gutes Abendessen oder Mittagessen kurzfristig erhältlich. Der Service ist überaus wichtig. Die Kellner sind Deutsche, aber sie scheinen vertraut mit jeder Sprache in der Welt zu sein. Alle Arten und Sorten Menschen haben Hamburg zu besuchen, das große Zentrum des maritimen Kommerz in Deutschland. Alle scheinen Pfordte die Bestellungen in ihrer eigene Sprache zu geben und werden verstanden. Englisch wird hier ebenso viel wie Deutsch gesprochen. Auf der rechten Seite der Eingangshalle führt eine feine Treppe in den ersten Stock, wo Räume für private Feiern jeder Anzahl sind, von zwei bis 100 Menschen. Kaum ein wichtiges öffentliches Abendessen in Hamburg findet nicht im Pfordte’s statt. Die Küche ist perfekt. Die Menüs sind originell und die Weine von den besten. Wenn Sie zur richtigen Jahreszeit in Hamburg sind, vergessen Sie nicht, Pfordtes Austern, Forellen aus Gebirgsbächen, Rebhuhn mit Aprikosen oder ›Trüffel in der Serviette‹ zu bestellen. Dem oben Genannten gibt es wenig hinzuzufügen, außer dass es eine gewisse Gemütlichkeit im Pfordte’s gibt, ein Gefühl der persönlichen Betreuung, das schwer zu definieren ist, aber das jeder, der dort speist, fühlt und schätzt.«
    Neben diesen lobenden Worten listeten Newnham-Davis und Bastard auch Pfordtes Speisekarte auf, von Kraftbrühe Xavier über Filets von Seezungen la Joinville, Rheinlachs kalt,Sauce Mayonnaise bis zu Rehrücken à la Conti, inklusive einer erlesenen Bordeaux-Auswahl. Kaviar gab es, Frischlingskoteletts und Saibling aus dem Königssee mit bayerischer Sauce.
    Franz Pfordte war zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Im sächsischen Delitz, Pfordtes Heimatort, wäre seine Karriere als Koch anders verlaufen. Die Hansestadt jedoch verfügte über ein zahlungsfähiges Publikum, der Handel boomte und die Infrastruktur verbesserte sich ständig.
    Ausgerechnet zwei Katastrophen trugen zum Aufstieg Hamburgs bei: Während des Großen Brandes von 1842 wurde ein Drittel der Hamburger Altstadt zerstört. Der Wiederaufbau führte zu einem Wirtschaftsaufschwung. Die Cholera-Epidemie von 1892, bei der annähernd 10   000 Todesopfer zu beklagen waren, gab schließlich den Anstoß zum Aufbau eines modernen Kanalisations- und Trinkwassersystems. Ausbau und Entwicklung des Hafens prägten die Stadt, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Knotenpunkt für Auswanderer wurde. Hamburg wuchs zur führenden Handelsstadt auf dem europäischen Kontinent und zur zweitgrößten Hafenstadt Europas heran – mit einem entsprechenden Publikum, das Pfordte schon als 18-Jähriger kennenlernte. Er arbeitete zunächst im Wilkens Keller, einem Lokal, das damals seit gut 30 Jahren Hummer und Austern servierte. Während des Schleswig-Holsteinischen Krieges (1848-1851) galt es als Treffpunkt der Offiziere und der Diplomaten.
    Ein knappes Jahr später, 1859, übergab Namensgeber Wilkens das Geschäft an Franz Pfordte. Der junge Koch studierte die Bücher großer französischer Berufskollegen wie Antonin Carême, Urbain Dubois und Émile Bernard. Anders als die meisten Kollegen seiner Zeit imitierte er die Vorbilder jedoch nicht blind. Pfordte adaptierte norddeutsche Regionalgerichtewie die Hamburger Aalsuppe mit französischem Know-how oder wandelte, schon aus Gründen der Frische, französische Rezepte mit deutschen Zutaten ab.
    Pfordte sah es als Aufgabe, seine Gäste zu Feinschmeckern zu erziehen. »Ein schwieriges Unternehmen, besonders bei den in kulinarischen Dingen konservativen Hamburgern«, schrieb seine Frau Henny nach seinem Ableben.
    Die Gäste kamen reichlich, nicht nur aus Hamburg, sondern aus halb Europa. 1878 kaufte Pfordte die Häuser Ecke Rathausmarkt und Plan und gründete ein neues Restaurant, das bald die internationale Prominenz frequentierte.
    Sein Lokal war eines der wenigen besseren Restaurants in Deutschland, das regelmäßig in der Literatur Erwähnung fand, etwa bei Detlev von Liliencron: »Am besten wird gegessen in der Welt / In Hamburg, diesem edlen Beefsteakorte. / Und hier, doch selten ohne

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