Die Erfinder des guten Geschmacks
eröffneten gleich Bistros.
»Der Trend hat sich gedreht«, meint Breton. »Der Aufstieg von Senderens, Guérard, Chapel und Co war die Emanzipation der Köche. Der Weg ins eigene Restaurant. Heute kochen die Spitzenköche wieder in Hotels oder brauchen Sponsoren.«
Anders ausgedrückt: Die großen Köche aus der Generation der Nouvelle Cuisine wurden noch unter ihrem eigenen Namen bekannt, von vielen jungen großen Köchen der nachfolgenden Generationen kennt man nur die Namen ihrer Arbeitgeber. Beispiel Franck Cerutti: Die Nummer zwei von Alain Ducasse im Hôtel de Paris eröffnete Anfang der Neunzigerjahre das gute und konkurrenzlos günstige Don Camillo in der Altstadt von Nizza. Trotz guter Kritiken blieben schnelle Erfolge aus, das Alltagsleben im eigenen Lokal konnte mit dem Glanz des monegassischen Lokals nicht mithalten. Cerutti kehrte schon 1996 an den sicheren Herd des Hôtel de Paris zurück – dieses Mal als Küchenchef.
»Wir stehen heute in weltweiter Konkurrenz«, meint auch Senderens. »Ein Koch, der Rechnungen für Zutaten und Weinkeller selbst begleicht, hat es schwer, mit einem hochsubventionierten Hotelrestaurant zu konkurrieren. Und einen eigenen Presse-Service hat er auch nicht. Kein Guide und kein Gast berücksichtigt das – warum sollte er auch.«
Senderens musste es wissen, denn sein Restaurant Lucas Carton geriet ebenfalls in finanzielle Schieflage und wurde nur durch eine finanzielle Beteiligung von Vranken-Champagner gerettet. Nach dem Konkurs von Pierre Gagnaire schrammten auch namhafte Köche wie Marc Veyrat und Marc Meneau haarscharf an der Pleite vorbei.
Gleichzeitig kämpfte die große Küche der Grande Nation mit einem anderen Problem: Historisch gesehen suchten und lobten Köche stets exzellente Zutaten. Noch in den Achtzigerjahren beschäftigten Spitzenköche wie Alain Chapel Züchter und Bauern der Umgebung. Inzwischen aber war das »Gourmet-Produkt« ein Geschäft geworden, sozusagen eine line extension der Mittelklasse beim frei Haus liefernden Großhändler. Landauf, landab wurden Rind, Schwein und Huhn derselben Züchter aufgetischt. Fleisch und Geflügel entstammte fortan natürlich stets denselben Rassen und wurde auf absolut identische Weise ernährt. Das sorgte für eine gewisse Monotonie bei Tisch. Sicher, die »Gourmet-Produkte« der Großhändler sind qualitativ hochklassig. Erstklassig jedoch sind sie nicht, denn sie werden in möglichst identischer Qualität für Tausende von Köchen erzeugt.
Abseits der Haute Cuisine verlor Frankreich dann auchnoch sein Wahrzeichen: die Bistros. Vier Thonet-Stühle rund um einen schmalen Tisch mit karierter Decke, der Rauch von 50 Gauloises, der auf Robert Doisneaus Bildern gleichzeitig Richtung Decke aufsteigt, die kantigen Züge von Jean Gabin, wenn er am zinc (»Tresen«) mit einer Pranke zum ballon , dem Glas Rotwein, greift, die Baskenmütze ins Gesicht schiebt und den Mantelkragen hochschlägt. So oder ähnlich lautet das Klischee eines zünftigen Bistros. Meist ist die Erinnerung daran schwarz-weiß, denn alle zugehörigen Fotos und Filme (mit Ausnahme von Amélie Poulain) sind es auch. Le Bistro , der französischste aller Orte, trägt einen russischen Namen: Mit bystro sollen die russischen Truppen 1815 die Pariser zum schnelleren Servieren aufgefordert haben. Schnell, gut und dann auch noch stimmungsvoll, solche Restaurants sind zu schön, um wahr zu sein. Damit ein Bistro entstand, brauchte es a) einen echten Patron, etwas grimmig, aber mit Herz auf dem rechten Fleck, b) rustikale Küche, die stets in 2000-Kalorien-Portionen aufgetischt wurde, und c) ein Publikum, das sich aus den Originalen des Viertels rekrutierte, im Durchschnitt weder zu arm noch zu reich noch zu anspruchsvoll. Daran scheitert es heute: Die üppigen Portionen will niemand mehr, schon gar nicht unfotogen serviert, die Patrons sind mit der Steuererklärung beschäftigt und streiten sich mit ihrem Lieferanten für Vorgekochtes.
Und das Publikum isst heute im Burgergrill: Frankreich gilt nach den USA als größter Umsatzmarkt für McDonald’s.
Der Aufstieg Spaniens
Jenseits der Pyrenäen war der französischen Küche zudem ein potenzieller Rivale erwachsen: die »neue spanische Küche«, dieanfangs noch nicht auf die Stilrichtungen »molekular« und »Avantgarde« abonniert war.
Nun war die spanische Küche nicht nur neu, sie war im Vergleich zu Frankreich auch ausgesprochen günstig: Noch um das Jahr 2000 waren zum Beispiel ein Flug nach
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