Die Erfinder des guten Geschmacks
Modezutat, kaum ein Thunfischcarpaccio kam ohne Koriander oder Zitronengras aus, selbst Kokosmilch wurde in Miesmuschelsuppe gerührt.
Einige Köche stellten schon die Frage, ob dies der Trend zu einer »universellen Haute Cuisine« sei, die in jedem Land der Welt gefällt, oder ob der Rückgriff auf Einflüsse von außerhalb nur ein Ersatz für die mangelnde eigene Fantasie am Herd sei. Da war die Mode des »Fusion Food allerorten« schon fast wieder vorbei, auch wenn die Pioniere ihrem Stil treu blieben.
Vielleicht scheiterte die Fusionsküche gerade an zu viel Fusion, vielleicht auch daran, dass sich sinnvolle Stilmixe nicht jedem Koch auf Anhieb erschlossen.
Große Küche, große Probleme
In Frankreich war inzwischen längst nicht mehr jeder gute Koch dank seiner Küche erfolgreich.
Jacques Maximin (*1948) erlebte in den Achtzigerjahren einen kometenhaften Aufstieg, kochte das Traditionshotel Negresco in Nizza in die Riege der begehrtesten Schlemmeradressen der Grande Nation. Gourmets aus aller Welt standen Schlange für seine gefüllten Zucchiniblüten oder den Seewolf in Gemüsekruste, berühmte Kritiker bezeichneten ihn nicht nur regelmäßig als Genie, sondern auch – in Anspielung auf seine Körpergröße – als Napoleon der Herde. So hätte es weitergehen können, wäre Jacques Maximin nicht dem Lockruf der Selbstständigkeit erlegen: Mit seinem spektakulären Restaurant-Theater (nebst Küche hinter einem pompösen Theatervorhang) in der Altstadt von Nizza erlitt er Schiffbruch. »Nicht jeder große Koch ist eben auch Unternehmer, und einer wie Maximin ist dann am besten, wenn er nicht rechnen muss«, murmelte die Branche. Die katastrophale Pleite, die jedem anderen Cuisinier Schulden bis ans Lebensende eingetragen hätte, handhabte er jedoch brillant. Das Theater wurde an die Brasseriekette Flo verkauft, Maximin fand im vermögenden Getränkegroßisten Versini einen Sponsor, der ihm prompt ein neues Lokal spendierte: Le Diamant Rose, im Hinterland der Côte d’Azur, dekoriert mit Originalen von Chagall und Picasso und ausgestattet mit einer 200 Quadratmeter großen Luxusküche mit Panoramablick auf die Küste. Aber das erhoffte Comeback blieb aus. Nach einem Streit mit seinem Gönner stand Maximin wieder auf der Straße, versuchte sich mal als Berater, dann wieder als Koch. 2008 schloss er sein letztes Lokal. Eingerichtet hatte er es im Wohnzimmer seines Privathauses.
Bernard Loiseau (1951-2003), laut Umfragen einstmals Frankreichs beliebtester und bekanntester Koch, steckte sich sein Jagdgewehr in den Mund und drückte ab. In der traditionsbewussten Branche hatte er es nicht immer leicht gehabt: »Wenn du Koch wirst, dann werde ich Erzbischof«, soll ihm sein Lehrmeister Jean Troisgros einmal zugerufen haben. Das Lokal La Côte d’Or in Saulieu baute Loiseau um und aus. Alexandre Dumaine, einer der Küchenstars der Fünfziger, hatte hier einst Maßstäbe gesetzt. Legendäre Orte neu zu beleben, ist immer schwierig. Alte Gäste bleiben aus, weil nichts mehr so ist wie früher, neue Gäste werden vom möglicherweise angestaubten Ruf abgeschreckt.
Doch Loiseau war erfolgreich mit Gerichten wie Schnecken im Brennnesseljus, Froschschenkel mit Knoblauch oder Zander in Schalottenfondue mit Rotweinsauce. Butter und Fett waren zeitweise aus der Küche fast verbannt, Loiseau versuchte mit dem natürlichen Jus der Zutaten zu kochen. Sauces à l’eau , »Wassersaucen«, hatte er dies zu Anfang seiner Karriere genannt, was ihm einigen Branchenspott eintrug: »Sieh nur Bernard, all diese fantastischen Saucen fließen unter dir hinweg«, meinte Paul Bocuse, als die beiden eine Brücke über den Fluss Saône überquerten.
Über die Jahre wurde Loiseau zum Unternehmer: Sein Gesicht prangte auf Fertigsuppen, seine Gruppe, zu der auch drei kleine Pariser Lokale gehörten, wurde sogar an der Börse notiert. Doch die Koch-Aktie stagnierte, das an der Börse gesammelte Geld wurde zügig für Renovierungen und Verschönerungen ausgegeben.
Dem Selbstmord ging eine Abwertung um zwei Punkte im Gault Millau und ein negativer Bericht in der Tageszeitung Le Figaro voraus. Auch im Guide Michelin sei seine Position bedroht, hieß es da. Michelin dementierte dies stets. »Wir warenuns Herrn Loiseaus sicher«, betonte Pressesprecher Gonzague de Jarnac damals.
Visiten von Köchen wie Bernard Loiseau wurden vom Guide Michelin auf solchen „Waschzetteln“ festgehalten. Das Datum wurde nachträglich korrigiert. Im
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