Die Erfinder Des Todes
erfahren müssen, was Lesley zugestoßen war. Ihre Mutter war dagegen, denn sie wollte hartnäckig so wenig wie möglich über das Schicksal ihrer jüngeren Tochter erfahren.
Fiona aber hatte alle erdenklichen Möglichkeiten ausgeschöpft, um sämtliche Einzelheiten des qualvollen Todes ihrer Schwester in Erfahrung zu bringen. Sie hatte sich mit den Reportern der Lokalzeitungen bekannt gemacht, sie hatte die Kripobeamten mit ihrem ganzen Charme bearbeitet, damit sie sie an ihrem Wissen teilhaben ließen. Erst als sie Lesleys letzte Stunden rekonstruieren konnte, hatten die Alpträume allmählich nachgelassen. Als sie im Lauf der Jahre mehr über die Verhaltensmuster von Vergewaltigern und Serienkillern erfuhr, wurde dieses Bild noch klarer und verlieh ihren Vorstellungen Struktur und konkrete Form. Es füllte auch den leeren Raum aus, als der sich das Geschehen zwischen Lesley und dem Mörder dargestellt hatte.
Kit fand einerseits diese Neigung irgendwie ungesund, andererseits musste er zugeben, dass dieses Wissen auf Fiona wie eine Art Balsam gewirkt hatte. Und das war das Wichtigste, fand er.
Auch wenn sie nicht recht erklären konnte, warum es ihr half, eine detaillierte Rekonstruktion im Kopf zu haben, konnten sie beide deren Wirkung nicht leugnen. Und Kit hatte erkannt, dass es sich mit ihrer beruflichen Beziehung zu Mord genauso verhielt wie auf der persönlichen Ebene. Je mehr sie wusste, desto sicherer fühlte sie sich. Vielleicht hatte sie Recht.
Vielleicht war das beste Mittel, in dieser Nacht nicht aus Alpträumen über Lesley aufzuschrecken, wenn sie alles zusammentrug, was sie über Drew Shands Schicksal erfahren konnte. Und vielleicht würde das auch Kit helfen.
»Was hast du vor?«, fragte er.
»Ich will mal sehen, was ich im Internet dazu finde«, sagte sie.
»Was hältst du davon?«
Achselzuckend füllte er sein Glas. »Es kann auch nicht schlimmer sein als die Szenen, die mir meine Phantasie vorspielt.«
Kit räumte das Geschirr zusammen und stellte das Tablett vor die Tür, während Fiona ins Internet ging und ihre Lieblings-Metasuchmaschine zu Hilfe nahm, die die virtuellen Weiten des World Wide Web durchkämmte. »Wo kann ich Drew Shand finden?«, gab sie ein. Innerhalb von Sekunden hatte sie die Antwort vor sich. Es gab Shands eigene Website und einige Fan-Seiten, die sich mit seinen Büchern beschäftigten.
»Schauen wir uns doch zuerst mal die Fan-Seiten an«, sagte Kit.
»Ich glaube kaum, dass Drew seine Homepage noch aktuali-sieren wird.«
Auf der ersten Seite, die Fiona anklickte, war das schwarz umrandete Schutzumschlag-Foto des toten Autors zu sehen.
Darunter standen Geburts- und Todesdatum und der stimmungs-volle erste Absatz von Copycat.
Der dichte Nebel zieht vom stahlgrauen Wasser des Firth of Forth herauf wie eine Wand aus Kumuluswolken. Er verschlingt die hellen Lichter der Trendhotels und der schicken Restaurants, der neuesten Spielwiese dieser Großstadt. Er wird eins mit den Schattengestalten der Seeleute aus dem Hafen, die früher ihre Heuer für billiges Bier und für Huren verschleuderten, deren Gesichter so hart wie die Hände ihrer Kunden waren. Der Dunst steigt den Hügel zur New Town hinauf, wo er von dem geometrischen Raster des vornehmen georgianischen Viertels in Blöcke zerschnitten wird, bevor er in die Senke der Princess Street Gardens hinuntergleitet. Die wenigen noch spät heimwärts schwankenden Nachtschwärmer beschleunigen ihre Schritte, um der feuchten Umklammerung zu entgehen.
Fiona fröstelte.
»Da sträuben sich einem die Nackenhaare, nicht wahr?«, äußerte Kit. »Verdammt guter Anfang. Der Junge hatte wirklich was los.
Hast du Copycat gelesen?«
»Es war bei dem Bücherstoß dabei, den du mir zu Weihnachten geschenkt hast.«
»Ach ja, das hatte ich vergessen.«
Fiona lächelte. »Es waren so viele.« Seit sie zusammen waren, hatte Kit Fiona seine persönliche Auswahl der Krimis, die das Jahr über erschienen, immer zu Weihnachten geschenkt. Es war ein Genre, das sie vor ihrer Beziehung kaum gelesen hatte. Jetzt machte es ihr Spaß, auf dem Laufenden zu sein und die Konkurrenten ihres Partners zu kennen, solange sie gezielt ausgewählt waren und die Auswahl kein zufälliger Rundum-schlag in der Krimiecke der Buchhandlungen war.
Fiona ließ die Seite durchlaufen, übersprang den Nachruf und konzentrierte sich auf Einzelheiten des Verbrechens. Nichts, was sie nicht schon wussten. Die zweite Fan-Seite hatte wenig mehr zu bieten außer
Weitere Kostenlose Bücher