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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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einen, da werden Sie noch blöd schauen! Wo ist das Telefon?«
    Sie hatten es aufs Fensterbrett gestellt. Nadine Bach drehte sich um, langte nach oben und schob Vogel den Apparat hin.
    Er nahm den Hörer ab. »Was glotzt ihr so? Ich will allein telefonieren!«
    »Nein«, sagte Stern.
    »Das gibt noch Ärger, Herr Doktor!«, sagte Vogel und tippte mit dem Mittelfinger die Nummer seiner Frau.
     
    Sein Fell roch so wie Raphael roch, und sie drückte ihn an sich, und alles war gut, einen Atemzug lang. Dann überwältigte sie wieder der eiskalte Wind, der in ihr wehte, und sie schlotterte und wimmerte. Wenigstens war Sheriff bei ihr und beschützte sie vor diesem Mann und dieser Frau, die nicht mehr aus ihrer Wohnung weggingen, obwohl sie sie schon mehrmals darum gebeten hatte, fünfzigmal und öfter, sie war sich ganz sicher, das hatte sie getan, sie hatte sie gebeten, aber sie gingen nicht, das war nicht höflich. Sie konnte sie nicht gut sehen, weil ein Schleier ihren Blick verhüllte, der gnädige Schleier der letzten drei Tramadol, die sie in einer Schublade gefunden hatte, dem Himmel sei Dank, dachte sie vage, dem Himmel sei Dank; das kleine Röhrchen mit den übrigen Pillen hatte ihr diese Kommissarin auf dem Friedhof weggenommen, und das war gemein von der, und jetzt saß diese Frau auch noch in ihrer Wohnung, schon den ganzen Vormittag, und ging nicht mehr weg und ging nicht mehr …
    »Frau Vogel, soll ich Ihnen einen Tee kochen?«, fragte Sonja Feyerabend, die auf einem Stuhl vor dem Kinderbett saß, auf dem Kirsten Vogel mit Raphaels Elch kauerte, einer breiten Plüschfigur mit zotteligen dunkelbraunen Haaren und einem Stoffgeweih, das aussah wie zwei Ingwerwurzeln. Das war Raphaels Lieblingstier gewesen, als er noch klein war, das hatte sie ihnen erklärt, nachdem sie ihre Kollegen weggeschickt hatten und allein in der Wohnung zurückgeblieben waren, Sonja Feyerabend und Tabor Süden. Der Kommissar stand am Fenster und ertrug das unendliche Schweigen im Stehen.
    »Ich mach Ihnen gern einen Tee«, sagte Sonja.
    »Nein, danke«, sagte Kirsten leise und drückte Sheriff, den Elch, an ihren zitternden Körper. Sie trug gelbe, ausgebleichte Leggings und das Sweatshirt mit dem Snoopyaufdruck, das sie angehabt hatte, als ihr Mann über sie hergefallen war und sie verprügelt hatte. Das hatte sie beinah vergessen gehabt, und jetzt fiel es ihr wieder ein, und sie wusste nicht, warum, und sie hasste sich, weil es ihr wieder eingefallen war.
    Der bunte Lichterkranz brannte, den sie über das Schwarzenegger-Poster gehängt hatte. Und jetzt wusste sie auch wieder, wer die beiden waren, die sie nicht allein lassen wollten.
    »Wo ist mein Raphael?«, fragte sie, und Süden beugte sich zu ihr hinunter.
    »Helfen Sie uns, ihn zu finden«, sagte er. Das sagte er nun schon zum zehnten Mal, und wieder sah sie ihn nur an und schwieg. »Darf ich mich zu Ihnen setzen? Neben sie?«
    Sie antwortete nicht. Immerhin: Bisher hatte sie bei dieser Frage bloß den Kopf geschüttelt. Fast zwei Stunden waren sie jetzt bei ihr, und das Einzige, was sie aus ihr herausgebracht hatten, war, dass Hans Garbo heute Nacht nicht nach Hause gekommen war, obwohl er es fest versprochen hatte. Und dass Raphael weggegangen war. Aber das hatten sie schon gewusst.
    Zunächst hatten sie überlegt, ob sie Kirsten ins Krankenhaus bringen sollten, um ihr den Magen auspumpen zu lassen, aber der Arzt, den sie angerufen und um Rat gefragt hatten, meinte, das wäre nicht nötig, in ein paar Stunden würde die Wirkung der Schmerztabletten nachlassen. In wie vielen Stunden? Tranig war sie durch die Wohnung gewankt, dann hatte sie aus dem Schrank im Flur den alten Elch geholt und ihn geküsst und sich mit ihm auf Raphaels Bett gesetzt, mit angezogenen Beinen, wie ein Kind, das sich einsam fühlt. Und sie war einsam. Sie war allein, und jedes Mal, wenn Sonja Feyerabend sie ansah, packte die Polizistin eine ungeheuere Wut auf die Umstände, in denen Kirsten Vogel lebte und denen sie nicht entkam, weil sie zu schwach war, zu wenig Geld und keinen Mann hatte, der die Verantwortung für sie und ihren Sohn übernahm.
    Sonja nickte Tabor Süden zu und ging hinaus in die Küche; nicht, um frischen Tee zu kochen, sondern um neuen Mut zu sammeln; wenn sie nur gewusst hätte, wie.
    Behutsam setzte sich Süden neben Kirsten und schaute sie an. Und zum ersten Mal wich sie seinem Blick nicht aus.
    »Sie haben ja ganz grüne Augen«, sagte sie sehr leise. »So wie Ihre

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