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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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seine Wunden gesund gepflegt, deswegen …« Sie sah Süden an und gleich wieder von ihm weg. »Deswegen hab ich Sie ja auch nicht hereinlassen können, dann hätten Sie ja gesehen, wie es meinem Raphael geht, und das wollte ich nicht. Ich wollt nicht, dass Sie ihn so sehen.«
    »Leider wollten Sie das nicht«, sagte Süden. »Hat Ihr Mann den Raphael nach dieser Nacht noch einmal geschlagen?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »War er nochmal hier?«
    Sie nickte. »Er ist jeden Tag gekommen. Raphael ist im Bett gelegen. Thomas hat gesagt, wenn er in den Ferien noch einmal die Wohnung verlässt, schlägt er ihn tot. Aber Raphael hätt gar nicht weggehen können, es hat ihm ja der ganze Körper wehgetan, er ist im Bett gelegen und …«
    »Warum haben Sie uns – warum hast du uns denn nicht angerufen?«, sagte Sonja, und Kirsten zuckte zusammen.
    »Warum … Was hätte das denn genützt? Das ist meine Familie, da brauch ich keine Polizei, ich schaff das schon! Ich schaff das schon!«
    »Aber dann ging es Raphael wieder besser«, sagte Süden.
    »Ja, vor ein paar Tagen ist er aufgestanden und rumgelaufen, er war ganz vergnügt, und ich war so froh darüber, wir haben Videospiele gemacht, und er war auch ganz fröhlich, als sein Vater gekommen ist, um nach ihm zu sehen. Sie haben sogar ein Videospiel zusammen gemacht, das war schön, Vater und Sohn vereint vor dem Fernseher, das hat mir gefallen. Ich hab was zu essen gekocht, aber Thomas musste wieder weg, weil er noch was zu erledigen gehabt hat. Wir haben dann die Nudeln allein gegessen, Raphael und ich, nur wir zwei, Hans war nicht da, der war mit seinem Laster unterwegs. Nur wir zwei waren da.«
    Sie hörte auf zu sprechen und blickte zur Wand und faltete die Hände.
    Das Telefon klingelte, aber Kirsten erschrak nicht. Sie saß auf dem Bett und betete die weiße Wand an.
    »Hallo?«, sagte Sonja Feyerabend in den Hörer.
    »Gib mir den Jungen, Beeilung!«
    »Herr Vogel? Wo sind Sie?«
    »Wer bist du denn? Was machst du in meiner Wohnung? Hau bloß ab da!«
    »Hauptkommissarin Sonja Feyerabend. Wo sind Sie, Herr Vogel?«
    »Bei Ihren Kollegen, wenn Sie’s ganz genau wissen wollen, Fräulein. Und jetzt gib mir meine Frau!«
    »Nein«, sagte Sonja.
    »Dann gib mir meinen Sohn!«
    »Ihr Sohn ist nicht da, Herr Vogel. Wissen Sie nicht, wo er ist?«
    »Sind Sie nicht ganz sauber? Was machen Sie da in meiner Wohnung? Ich will jetzt meinen Jungen sprechen …«
    »Raphael ist nicht hier, Herr Vogel. Wahrscheinlich ist er weggelaufen, weil Sie ihn halb zu Tode geprügelt haben.«
    »Spinnst du? Wer sagt’n so was? Gib mir Kirsten, los! Hey, was soll’n das?«
    »Sonja?« Rolf Stern hatte Vogel den Hörer aus der Hand genommen. »Ich bin’s. Habt ihr was erfahren?«
    »Ja«, sagte Sonja, »aber ob wir den Jungen deswegen schneller finden, bezweifele ich. Was gibt’s bei euch? Hat Vogel gestanden?«
    »Nein«, sagte Stern, »aber er ist froh, dass der andere tot ist.«
    »Bring ihn ins Gefängnis, egal wie«, sagte Sonja Feyerabend.
     
    Vom Rücksitz des Wagens aus schaute er auf einen Platz, auf dem Taxis standen und junge Leute mit Tüten voller Pommes frites herumliefen. Dahinter war eine Toreinfahrt aus Stein, durch die man nicht durchfahren konnte; sie hatten extra einen Umweg machen müssen.
    Er hatte Hunger. Großen Hunger, und ihm war kalt. Seit einer Stunde hockte er im Auto und durfte nicht raus. Die Tür war nicht abgesperrt, aber Gustl hatte ihm verboten wegzugehen. Er hatte Angst vor Gustl. Aber er war der Einzige, der ihn dort hinbringen würde, wo er hinwollte. Wenn er dann endlich dort war, wollte er sowieso weglaufen und sich von Gustl trennen. Er hatte ihm nicht die Wahrheit gesagt, und die ging ihn auch nichts an. Die Wahrheit ging nur ihn selber was an, genauso wie sein Leben. Was er mit seinem Leben machte, das war seine Sache.
    Er schaute wieder durch die Heckscheibe. Aus einem Imbissladen kamen Leute mit Brot, in dem Fleisch steckte. So was gab es auch in München, Döner hieß das. Sein Freund Aras hatte ihn mal in so einen Laden mitgenommen und ihm ein Döner spendiert; da tropfte unten die weiße Sauce raus, genau auf seine Hose, und seine Mutter hatte ihn deswegen geschimpft. Aber es hatte lecker geschmeckt, und das war das Schimpfen wert gewesen. Aras hatte ihm erklärt, was in dem Brot drin ist, aber daran erinnerte er sich nicht mehr. Sie waren in einem Lokal beim Hauptbahnhof gewesen, da waren nur Türken, und die tranken Tee und redeten

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