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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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Kollegin.«
    »Wir sind ja auch Polizisten«, sagte er.
    »Aber Sie haben keine Uniform«, sagte sie und umarmte innig den Elch.
    »Nein«, sagte Süden. »Das würde wahrscheinlich nicht gut aussehen.«
    »Haben Sie nie eine Uniform getragen?«
    »Doch, am Anfang, als ich Polizist geworden und mit dem Streifenwagen gefahren bin, da hab ich eine Uniform getragen. Aber ich war froh, als ich sie los war.«
    »Mögen Sie keine Uniformen?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht.«
    Sie sahen sich an, und er legte die Hände flach aufs Bett.
    »Wie heißen Sie?«, fragte sie; seinen Namen hatte sie vergessen.
    »Tabor Süden.«
    »Süden …« sagte sie und machte genießerisch: »Hmmm …« Sie presste die Lippen aufeinander. »Süden würd ich auch gern heißen, dann wär mir immer warm.«
    Er nahm ihr, ohne dass sie sich wehrte, den Plüschelch aus den Händen, legte ihn an den Bettrand und breitete die Arme aus. Verwundert sah sie ihn an, und er tat nichts; saß da mit ausgebreiteten Armen; und sie zitterte und kratzte sich mit fünf Fingern die Innenfläche der linken Hand; und schaute ihm wieder ins Gesicht. Er saß immer noch da und hielt die Arme weit geöffnet, tat nichts sonst, sagte nichts, saß da und sah sie an.
    Und dann ließ sie sich fallen.
    Sie kippte einfach nach links und landete in seiner Umarmung. Und wie ein Sturzbach kamen die Tränen aus ihr heraus, sie war ein offener bebender Felsen, kalt und verloren in der Ödnis dieser Wohnung, dieses Zimmers, in dem ein Kind fehlte. Süden drückte sie an sich und strich ihr über den Rücken.
    Es kam Kirsten so vor, als wäre dieser kräftige, warme Männerkörper ein Magnet, der die Traurigkeit aus ihr herauszog und sie von der schweren Dumpfheit befreite, die sie umgab, seit Raphael zum ersten Mal verschwunden war und sie zurückgelassen hatte, allein mit all der Liebe, die ihr niemand zutraute.
    »Ich … ich muss Ihnen was sagen«, flüsterte sie, schluchzte und vergrub ihr Gesicht in seinem Nacken.
    Sonja Feyerabend kam zurück und kniete sich vor das Bett. Sie nahm die kalte Hand, die ihr Kirsten entgegenstreckte.
    »Ich – ich hab ihm nicht helfen können …« Eine Weile weinte sie stumm vor sich hin. Dann streichelte sie Südens Haare und hob den Kopf. Beim Anblick ihres verweinten Gesichts erschrak Sonja: Von den vielen ungetrösteten Frauen, denen sie beruflich oder privat schon begegnet war, gehörte Kirsten Vogel zu denen, deren Geschichte immer wieder von vorne begann, mit einem Mann, in den sie sich verliebten, der sie anlog und verließ und nach dem sie sich dennoch verzweifelt sehnten, weil seine Gegenwart ihnen einen Sinn verlieh, den abstrusen Sinn, da zu sein, um das Glücklichsein möglich zu machen.
    »Wem haben Sie nicht helfen können?«, fragte Sonja Feyerabend, und Kirsten zog ihre Hand zurück und rückte ein Stück weg. Südens Hemd war feucht, seine Haare waren nass, er strich sie nach hinten und lächelte Kirsten an. Wenn ein Mann so lächelte, dann freute sie sich. Sie lächelte auch, nur kurz, aber unübersehbar.
    »Mein Mann«, sagte sie, und die Stimme war weniger leise als zuvor, »hat Raphael geschlagen. Ich hab ihm nicht helfen können, ich hab so Angst gehabt vor meinem Mann, dass er mich umbringt mit dem Stock … mit dem Stock, den er selber mitgebracht hat in … in einem Koffer …«
    »Wann war das?«, fragte Sonja.
    »Das … als der Raphael wieder da war, als Sie ihn mir zurückgebracht haben, in der Nacht, da … da ist mein Mann gekommen und hat ihn geschlagen, in seinem Bett hat er ihn geschlagen …« Sie kratzte sich an der Hand und presste die Knie zusammen. »Raphael hat geblutet … und er hat … er hat geweint. Er ist ein tapferer Junge, und ich … ich bin so feige. Ich hätt ein Messer holen und Thomas erstechen sollen, das hätt ich tun sollen, aber ich war so steif vor Angst, so steif vor Angst war ich, und jetzt kommt mein Raphael nie wieder zurück, und das kann ich sogar verstehen, bei so einem Vater und bei so einer feigen Mutter, da muss man das verstehen, ich versteh das …«
    »Sie sind nicht feige, Kirsten«, sagte Sonja Feyerabemd.
    »Wollen Sie nicht du zu mir sagen, das wär mir lieber«, flüsterte Kirsten.
    »Okay, Kirsten, ich bin die Sonja …«
    »Hallo, Sonja«, sagte sie schnell.
    »War Raphael sehr schwer verletzt? Warst du mit ihm beim Arzt?«
    »Nein! Ich geh doch nicht zum Arzt, was denkt der denn dann von mir! Ich hab mich um ihn gekümmert und ihn gepflegt, ich hab

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