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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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unscheinbar neben dieser wuchtigen Gestalt vor. »Sind Sie ganz sicher, dass es dieser Mann war, den Sie aus dem Haus kommen sahen? Bitte sehen Sie ihn sich genau an!«
    Sie bewegte sich nicht von der Stelle. Ein eigenartiger Geruch strömte von ihr aus, wahrscheinlich von ihrem Umhang, vermutete Nadine Bach, die wie ihre Kollegen von Odas Auftreten beeindruckt war. »Das war der Mann, das ist eindeutig. Der war’s und kein anderer …«
    »Hey, Mutti!«, grölte Vogel, »wo haben sie dich denn auslassen? Aus der Munster-Family?« Er verzog hämisch den Mund, dann lehnte er sich wieder zurück und streckte die Beine von sich. »Du kannst mir den Schuh aufblasen, und jetzt schleich dich!«
    »Ich zeig Sie an, Sie! Sie haben den Herrn Oberfellner erstochen, ich hab Sie genau gesehen …«
    »Jetzt reicht’s mir!« Er sprang auf und stürzte auf sie zu. Zum Glück für Rolf Stern brachte der Alkohol Vogels Bewegungen durcheinander, so dass er ihn rechtzeitig abfangen konnte. Wieder kam ihm Braga zu Hilfe, der Vogel an der Schulter packte und ihn auf den Stuhl drückte und dann festhielt, damit er nicht umkippte.
    »Tut mir Leid«, sagte Stern zu Oda Hottrop.
    »Dieser Mann macht mir keine Angst«, sagte sie und trat auf den Flur hinaus. »Sonst noch Fragen, Herr Kommissar?«
    »Im Moment nicht. Vielen Dank, dass Sie hergekommen sind. Meine Kollegen fahren Sie nach Hause.«
    »Nicht nötig, ich fahre selbst.«
    »Wiedersehen«, sagte Stern, ging ins Zimmer zurück und schloss die Tür. Braga hatte Vogel losgelassen und stand hinter ihm.
    »Sie waren heute früh in der Wohnung von Frank Oberfellner«, sagte Stern und setzte sich.
    »Ja und?«, sagte Vogel.
    »Was wollten Sie von ihm?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    »Vielleicht rufen Sie jetzt besser Ihren Anwalt an, Herr Vogel«, sagte Stern, »Sie sind jetzt nämlich kein Zeuge mehr, sondern ein Verdächtiger. Sie haben das Recht, einen Anwalt anzurufen, und Sie haben das Recht, die Aussage zu verweigern. Haben Sie das verstanden?«
    »Bin ich taub oder was?« Es war ihm anzusehen, dass es in ihm arbeitete; in seinem Gehirn schien sich der Nebel langsam zu lichten, und Karl Funkel registrierte die Veränderung mit einem leichten Anflug von Optimismus.
    »Ich muss Ihnen noch sagen, welcher Straftat Sie verdächtigt werden …« Stern machte eine kurze Pause, aber Vogel zeigte keine Regung; er kratzte mit dem Daumennagel sein Zahnfleisch und dachte offenbar angestrengt nach. »Sie werden verdächtigt, den Gärtner Frank Oberfellner heute zwischen fünf und sieben Uhr früh erstochen zu haben. Wollen Sie sich dazu äußern?«
    Blitzartig hob Vogel den Kopf. »Logisch! Und zwar, dass mir das total egal ist, ob der hin ist oder was. Der hat meinen Jungen missbraucht, und Sie, Sie, die Polizei, Sie haben das verschwiegen, weil Ihre Fahndung so beschissen war und Sie meinen Sohn nicht rechtzeitig gefunden haben, und da haben Sie dann nicht zugeben wollen, dass er misshandelt worden ist und geschlagen und eingesperrt, mein Raphael, von dem Oberfellner, und wenn er nicht von selber weggelaufen wär, dann wär er jetzt auch tot, mein Raphael, und Sie hätten das nicht verhindert, Sie bestimmt nicht, Scheiße!«
    Er hustete krachend, schnappte nach Luft, beugte sich vor und hustete so stark, dass Stern glaubte, er würde sich übergeben.
    »Haben Sie Frank Oberfellner erstochen?«, fragte Stern.
    Vogel nickte grimmig, grinste, nickte, leckte sich die Lippen, spreizte die Beine und sah Nadine Bach mit einem Ausdruck an, den sie bisher noch bei keinem Mann gesehen hatte; sie dachte, wenn die Antarktis ein Gesicht hätte, dann wäre es seines.
    »Haben Sie Frank Oberfellner erstochen, Herr Vogel?«, wiederholte Stern.
    Vogel schwieg. Die Polizisten sahen ihn an. Funkel legte den linken Arm auf sein Bein und schaute unauffällig auf die Uhr: Es war dreizehn Uhr zweiundfünfzig.
    »Ich will telefonieren«, sagte Vogel.
    »Mit wem?«, fragte Stern.
    »Mit meinem Sohn. Ich will wissen, was er macht.«
    Stern und Funkel warfen sich einen Blick zu.
    »Wo ist Ihr Sohn?«, fragte Funkel.
    »Wo soll er schon sein? Zu Hause natürlich! Ich hab ihm gesagt, er soll zu Hause bleiben.«
    »Warum denn?«
    »Weil ich sein Vater bin, und weil er das tut, was ich ihm sage. Also, wo kann ich telefonieren?«
    »Wollen Sie nicht erst Ihren Anwalt anrufen?«, fragte Stern.
    »Erst ruf ich meinen Sohn an und dann, vielleicht, ruf ich meinen Anwalt an. Oder glauben Sie, ich hab keinen Anwalt? Ich hab

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