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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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die beiden trank er jetzt einen großen Schluck, bevor er sich auszog und nackt ins Bett legte, in dem es nach Kölnischwasser roch wie in der Wohnung von Evelin Sorge. Plötzlich musste er wieder an sie denken, und es wurde ihm warm, und er spreizte die Beine, und seine Hand packte zu, zum ersten Mal seit einem Jahr.
     
    Kurz nach Mitternacht fing für Martin Heuer die Dunkelheit erst an. Lilo bat ihn, das gekippte Fenster zu schließen, das mit rotem Krepppapier überklebt war, und die Tiffanylampe auf dem runden Holztischchen auszumachen, während sie selbst die Kerze ausblies, die sie in dem silbernen schmalen Kerzenständer neben dem Bett eben erst angezündet hatte.
    Das Bett war eine breite, mit einem rauen weißen Leintuch überzogene Matratze, die vor einem Spiegel lag. Überall hingen Tücher an den Wänden, um die Schallisolierung dahinter zu verbergen. Manchmal kamen Männer zu Lilo, die laut schrien, wenn sie sich von ihr massieren oder mit Rohrstöcken behandeln ließen; einige winselten auch nur oder bettelten um Gnade, obwohl Lilo nicht die Absicht hatte, ihnen etwas anzutun. Sie arbeitete illegal in dem kleinen Zimmer in der Nähe der Siemensallee, was ihre Kunden, Ingenieure, Aufsichtsräte, Arbeiter, die in der Mittagspause Wert auf schnelle Handarbeit legten, nicht daran hinderte, immer wieder zu kommen.
    In dieser Wohnung, die sich Lilo mit drei anderen Frauen teilte, von denen jede in einem eigenen Zimmer arbeitete, hatte die Polizei noch nie eine Razzia durchgeführt, obwohl sie auf der Suche nach minderjährigen Prostituierten aus Osteuropa regelmäßig Massagesalons überall in der Stadt filzte und einer von Lilos Stammkunden Kriminalbeamter war und genau Bescheid wusste.
    Martin Heuer kannte Lilo seit sieben Jahren, er hatte sich an sie gewöhnt; wenn seine Kollegen ihn mit ihr erwischen würden, dann wären sie beide ihren Job los, und das kümmerte ihn mehr als sie. Lilo war sechsundfünfzig, nach ihrer Scheidung hatte sie in einer Galerie gearbeitet, und als der Laden Pleite machte, in einer Bar im Vergnügungsviertel am Hauptbahnhof. Sie war Expertin für Fingerspiele und lehnte es ab, mit Männern zu schlafen; doch so gekonnt, wie sie sie berührte, verzichteten die meisten von ihnen freiwillig darauf. Eines Abends war Martin Heuer in die Bar am Hauptbahnhof gekommen, und von da an erschien er jeden Abend.
    Sie wusste, dass er Kripobeamter war und sein Dezernat um die Ecke lag, und je öfter er in ihr kleines Zimmer kam und sie ihn streichelte und seinem Schweigen zuhörte, desto mehr vertraute sie ihm, und er ihr; manchmal erzählte er von seiner Arbeit, den Überstunden, dem Stress und den gefährlichen Situationen, in die er geraten war. Nach einem Jahr erlaubte sie ihm, sie zu vögeln, und stellte fest, dass er auf diesem Gebiet kein Experte war; dafür war er ein Spezialist für Abwesenheit; er drang in sie ein und hielt sie fest, und sie krallte sich in seinen dürren knochigen Körper, doch es kam ihr vor, als wäre er längst verschwunden und hätte nur seinen Schatten zurückgelassen; er nahm sie nicht wahr, auch wenn er sie anschaute, er berührte sie, aber seine Hände glitten über ihre Brüste wie Wesen einer fernen Gestalt; danach betrachtete er sich im Spiegel und verzog das Gesicht, als ekele er sich vor sich selbst.
    Sie versuchte ihn abzulenken, küsste jeden Flecken seiner seltsam weichen Haut und schaffte es hin und wieder, ihn aufzuheitern und so anzustacheln, dass er sich noch eine Runde mit ihr beschäftigte. Bis zu jener langen Winternacht, in der er ihr gestand, dass er nicht mehr einschlafen konnte ohne Tabletten oder Alkohol, den er nie gemocht hatte, und bis zum Morgen durch die Stadt zog, von einer Spelunke zur nächsten, und nirgends Ruhe fand. Seit dieser Nacht schaffte er es nicht mehr, mit ihr zu schlafen, so sehr sie sich auch bemühte mit ihren Fingern und ihrer Zunge. Er lag nur da und starrte hinauf in den schwarzen Himmel, der nach Moschus roch.
    So wie jetzt, nachdem er das Fenster geschlossen und sich wieder hingelegt hatte.
    »Ich kann deine weiße Haut sehen«, sagte Lilo. »Bist du schon wieder dünner geworden?«
    Er antwortete nicht.
    »Hör mal, Martin, du musst mir das Geld jetzt nicht zurückgeben, wenn du’s nicht hast, ich komm schon durch, mach dir keinen Stress.«
    Vom Flur drangen leise Stimmen herein. Für eine perfekte Schallisolierung fehlte den vier Frauen das Geld, außerdem gaben sie es lieber für Parfüm und Anzeigen

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