Die Erfindung des Abschieds /
das Beste ist, du kommst nie wieder! Aber gib mir vorher meine Kohle zurück! Lass dich krankschreiben, oder geh zum Psychiater, aber komm nie wieder zu mir, ich kann dir nicht helfen! Weil du dir nämlich nicht helfen lassen willst!
Als sie auf den Flur trat, kamen die Polizisten, drei Männer und eine Frau in Zivil, gerade zur Wohnungstür herein. »Was wollen Sie hier?«, rief Lilo ihnen entgegen.
»Jetzt mal ganz ruhig, gnädige Frau!«, schallte es ihr entgegen, und weil sie keine Lust auf solche Antworten hatte, ging sie in die Küche und schenkte sich einen Arak ein, von dem es dank ihres Stammkunden Mustafa immer eine frische Flasche im Kühlschrank gab.
In der Zwischenzeit kletterte Heuer zum zweiten Mal in dieser Nacht eine Feuerleiter hinunter, rannte über einen unbeleuchteten Innenhof, stieg über einen Maschendrahtzaun und erreichte in einer Seitenstraße unbemerkt seinen alten BMW . Im Schritttempo fuhr er bis zur Hauptstraße, bog nach rechts ab und nach dreihundert Metern wieder nach links, wo die Wolfratshausener Straße in Richtung Mittlerer Ring führte. Er nahm den Ring nach Osten und erreichte fünf Minuten später das riesige Gelände des Kunstparks Ost. Hier fuhr er nicht auf den leeren Parkplatz, sondern stellte sein Auto in der Grafinger Straße ab und ging zu Fuß weiter. In der
Nachtkantine,
die eher einem Bahnhofssaal glich als einem Wirtshaus, saßen nur wenige Gäste, die meisten allein am Tisch, tranken Bier und starrten in die Weite der Ereignislosigkeit. Aus den Lautsprechern ertönte Schlagermusik.
Martin Heuer setzte sich an den Tresen und bestellte ein Bier.
»Einen Orgasmus dazu?«, fragte Zacharias, der Wirt, der ein blaues Baseballkäppi mit dem Aufdruck
Chicago Bulls
trug.
Heuer schüttelte den Kopf, und Zacharias brachte ihm trotzdem einen. Heuer schaute das kleine Glas mit dem milchigen Inhalt an, ein zermürbendes Gemisch aus Créme de Cacao, Sekt, Wodka, Amaretto und Sahne, nahm es zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt es in die Höhe.
»Dein Erster heute?«, fragte Zacharias und grinste freudlos.
»Möge es nützen!«, sagte Heuer und dachte wieder an Tabor, der noch immer sein bester Freund war, auch wenn er seit einem dreiviertel Jahr nicht angerufen hatte und wahrlich nicht unschuldig daran war, dass seine Träume ihn wie einen Aussätzigen behandelten.
Er kippte das Zeug runter und spülte mit Bier nach. Freddy sang »Junge, komm bald wieder«, und auf ihn trank Martin Heuer einen zweiten Orgasmus. Später setzte er sich an einen Tisch mit Blick zum Fenster, kramte ein Blatt Papier aus der Jacke und fing, den Kopf vornübergebeugt, an, etwas zu schreiben.
Dann dachte er daran, wie er innerhalb weniger Stunden zweimal aus dem Fenster eines Hauses gestiegen war, einmal als Verfolger und einmal als Flüchtender; so schnell verkehrten sich die Rollen, wechselte das Glück.
Ungeduldig wartete er auf das erste echte Licht von draußen.
Nach dem ersten Glas Rotwein machte sie sich Vorwürfe, weil sie Martin allein hatte wegfahren lassen und ihn nicht nach Hause begleitet hatte. Aber dann dachte sie nicht mehr an ihn und die Ereignisse in dem Haus im Westend, und es gelang ihr sogar, die Gedanken daran zu vertreiben, wie der Rumäne Martins Dienstwaffe in der Hand hielt und plötzlich abdrückte.
Auf einmal, nach dem dritten Glas Chianti, sah sie sich in einem Zugabteil sitzen und in Richtung Süden fahren. In Richtung
Süden!
Sie fuhr in Richtung eines doppelten Südens, in die Himmelsrichtung und zu dem Mann, der diesen Namen hatte, um den sie ihn so oft beneidete. Ich bin Süden, hatte er zu ihr gesagt, als sie sich bei einer Dezernatsfeier zum ersten Mal begegnet waren, und was hätte sie darauf schon erwidern sollen? Ich habe eine Schwäche für Süden? Süden ist mein Traum? Er war mittelgroß, hatte schulterlange dunkelblonde Haare und grüne, leuchtende Augen, er trug eine braune, an den Seiten geschnürte Lederhose und ein weißes, weites Hemd, das auf seiner braunen Sommerhaut zu glänzen schien. Was sagte man zu einem Mann, der wie eine Erscheinung plötzlich vor einem aus der Menge wuchs und mit rauer Stimme sagte: Ich bin Süden, und seine Hand zum Gruß hinhielt? Sie sagte das, was ihr am schnellsten einfiel, ihren Namen. Ich bin Feyerabend, sagte sie, und er: Glauben Sie, dass Namen Omen sind?, und sie: Natürlich, wenn ich frei hab, geht’s mir gut, und er: Ja, das seh ich, und sie nahm wortverlassen seine Hand, und er drückte sie.
Und
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