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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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aus.
Ältere Sie massiert von zart bis hart,
war Lilos Text, und den vielen Anrufen nach zu urteilen, musste er eine Art Bestseller auf dem unüberschaubaren Markt des Kleingedruckten sein.
    »Ich will dir das Geld aber geben, wieso hab ich mir überhaupt so viel von dir geliehen?« Seine Stimme klang hohl. Sie saß neben ihm auf der Matratze und schaute zum Türschlitz, durch den rötliches Licht hereinfiel.
    »Weil du Toni sechshundert geschuldet hast, und für zweihundert hast du dir eine neue Hose und ein ordentliches Hemd gekauft, nachdem du sturzbetrunken von meinem Fahrrad gefallen bist. Schon vergessen, Schätzchen?«
    »Ich hab’s verdrängt.«
    »Ist ja auch schon ein halbes Jahr her.«
    »Ich hab vergessen, dass ich dir das Geld schulde, ist das nicht Wahnsinn? Ich hab’s vergessen, weil ich nur noch in der Arbeit bin und an nichts anderes mehr denke, Tag und Nacht. Tut mir Leid, Lilo, tut mir Leid.«
    »Das sagst du schon zum zehnten Mal, ich weiß, dass es dir Leid tut.«
    »Tut mir Leid.«
    »Wieso hast du denn ausgerechnet heut dran gedacht?« Sie drehte sich zu ihm um und legte die Hand flach auf seine Brust, die sich kaum hob und senkte.
    »Weil mich ein Kollege gefragt hat, wann ich ihm den Fünfziger zurückgebe, den ich mir ausgeliehen hab, weil ich unbedingt Lotto spielen wollte.«
    »Verstehe.«
    »Tut mir … Ich geb’s dir morgen, spätestens übermorgen, versprochen, Lilo …«
    »Ja. Habt ihr viel zu tun wegen dem verschwundenen Buben? Das ist ja eine tragische Geschichte.«
    »Das halbe Dezernat ist im Einsatz. Niemand darf frei machen oder Urlaub nehmen. Bis auf einen natürlich …«
    »Sei froh, dass er weg ist. Du hast dich fertig gemacht wegen ihm. Er hat dich ausgenutzt, das weißt du genau.«
    »Nein. Du verstehst das einfach nicht …«
    »Ich versteh das schon. Ich kenn das, mein Exmann ist genauso, der lässt auch die anderen für sich malochen, und wenn’s gut ausgeht, kassiert er die Lorbeeren, und wenn’s schlecht ausgeht, sind die andern schuld. Ich kenn das, ich kenn das gut. Und du hast mir eine Menge von deinem Freund erzählt.«
    »Hätt ich vielleicht nicht tun sollen.«
    »Und? Hat er dich angerufen? Hat er sich bei dir gemeldet, seit er weg ist? Du bist sein bester Freund, oder nicht?«
    »Hör auf, Lilo. Sei still, bitte! Vielleicht kann ich bei dir einschlafen.«
    »Du kannst hier nicht bleiben, das weißt du doch.«
    »Tut mir Leid.«
    Sie schwiegen.
    Lilo stand auf und ging zum Schrank, der auf der anderen Seite des Raumes neben einer Duschkabine stand, die sie sich als besonderen Service für ihre Kunden hatte einbauen lassen. Sie zündete sich eine Zigarette an und hielt sich ihre silberne Armbanduhr, ein Geschenk vom ungehorsamen Doktor Rochus, nah vor die Augen: Es war ein Uhr zehn. Normalerweise empfing sie den letzten Kunden um einundzwanzig Uhr, und spätestens zwei Stunden später war Schluss.
    »Ich möchte, dass du aufhörst, dich wegen diesem Mann rumzuquälen. Er ist schuld dran, dass du nicht mehr schlafen kannst, das hast du mir selber gesagt …«
    »Nein.«
    Sie blieb vor der Matratze stehen, zog an der Zigarette und blies den Rauch gegen den Spiegel. »Ich will einfach nichts mehr von ihm hören, verstanden? Ich kenn den Typ nicht, ich hab ihn nie kennen gelernt, ich weiß nur das, was du mir von ihm erzählt hast. Und das genügt mir. Also lass das sein! Vermisst du ihn etwa, willst du, dass er zurückkommt oder was? Willst du noch kränker werden von ihm? Was ist los mit dir, was ist so toll an einem Kerl, der eine ganze Abteilung wochenlang für seine Zwecke einspannt, und am Ende muss eine junge Frau elendiglich sterben, weil der Kerl vor lauter Egoismus die Realität aus den Augen verliert!« Mit einem zornigen Zischen wandte sie sich um, klemmte die Zigarette in den Mundwinkel und warf sich ihren Bademantel über die Schultern.
    Heuer setzte sich auf, keuchte und rieb sich mit den Fingerknöcheln die Schläfen. Das Brummen in seinem Kopf war verschwunden, stattdessen wuchs eine Beule aus seinem Haarkranz.
    »Wir brauchen Tabor, er fehlt uns, wir können nicht auf ihn verzichten«, sagte er. »Wir brauchen jeden Mann für diese Fahndung.«
    »Hat er sich bei dir gemeldet? Ja oder nein?«
    Er hob den Kopf und sah ihre Gestalt im Dunkeln, den hellen Bademantel, den sie nicht zugebunden hatte, er streckte seinen Arm nach ihr aus. »Ich kann ihn verstehen, ich kann ihn besser verstehen als jeder andere«, sagte er, und sie blies Rauch aus

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