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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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einen Augenblick lang mit ihrem Zorn. Sie biss hinein und schmeckte den cremigen Teig und die süßen Früchte. An einer sinnlos-roten Ampel hielt sie an, leckte die Krümel vom Pappteller und zerknüllte ihn. Auf einem Motorrad fuhren zwei junge Männer, die beide keinen Helm trugen, ohne anzuhalten über die rote Ampel. Kein Fußgänger überquerte die Straße. Inzwischen warteten vier weitere Autofahrer auf Grün.
    Thon hatte ihr widerstrebend den Weg zu den Kollegen beschrieben. Den Zettel hatte sie in der Tasche, und als sie vor dem flachen Gebäude mit dem blauen
Polizei
-Schild über der Eingangstür ankam, steckte er immer noch dort; sie hatte auch so hergefunden, obwohl sie nie zuvor in Taging gewesen war. Sie stieg aus und blieb kurz stehen, um den Vögeln zuzuhören.
    Nur wenige hundert Meter entfernt sprangen die beiden jungen Männer, die Sonja an der Ampel überholt hatten, von ihrem Motorrad und betraten laut grüßend das Restaurant
Opatija-Grill.
Heute war Freitag, heute wurde abgerechnet.
     
    Für Polizeihauptmeister Xaver Hoferer und Polizeiobermeister Hannes Pulk war der Besuch einer Hauptkommissarin aus der Stadt kein Grund zu irgendetwas; weder bemühten sie sich um besondere Höflichkeit noch schüchterte sie die Anwesenheit der ranghöheren Kollegin ein. Sie boten ihr einen Stuhl und einen Kaffee an, den sie ablehnte, entschuldigten sich nicht für das Chaos in den beiden Diensträumen, das durch Aufräumarbeiten nach einem Wasserschaden entstanden war, und nahmen die gelben Haare ihrer Kollegin mit einem gleichgültigen Stirnrunzeln zur Kenntnis. Sie setzten sich ihr gegenüber, ohne sie zu fragen, ob sie ihren Mantel ablegen wolle, und schauten sie an.
    Eine Minute verging, und niemand redete. Sonja saß da und blickte von einem zum andern. Ihre lederne Schirmmütze und ihre Umhängetasche hatte sie auf den Tisch gelegt. Es roch nach frischer Farbe.
    Hannes Pulk, der jüngere der beiden Männer – er war etwa in Sonjas Alter –, starrte sie an und zupfte an seiner linken Augenbraue. Hoferer hatte die Hände auf dem Tisch gefaltet und bewegte seinen Mund hin und her, so dass sein Schnauzbart zitterte. Sonja hörte ihre Armbanduhr ticken.
    »Nachdem wir uns jetzt unsere Gesichter eingeprägt haben, möchte ich gern einige Fragen an Sie stellen«, sagte sie und stand abrupt auf. Pulk zuckte zusammen.
    »Tun Sie das«, sagte Hoferer tonlos.
    »Sie wissen, ich bin gekommen, um meinen Kollegen, Kriminalhauptkommissar Tabor Süden, zu treffen. Hatten Sie in letzter Zeit Kontakt zu ihm, haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »Nein«, sagte Hoferer. »Am Montag ist er mal wieder hier im Dorf aufgetaucht und hat gleich zwei Burschen vermöbelt.«
    »Bitte?«
    »Beim Klinger in seinem Geschäft, es war bloß seine Tochter da, die Theres«, sagte Pulk. »Hat Batterien gekauft, das ist erwiesen, und dann sind die zwei Burschen reingekommen, und er hat sie gepackt und auf den Boden geworfen, ganz genau so.«
    »Warum hat er das getan?«
    »Das wissen wir nicht«, sagte Hoferer und kratzte mit spitzen Fingern seine Schnurrbartspitzen. »Die Theres hat gesagt, die Jungs hätten ihm den Weg versperrt, aber das ist nicht erwiesen. Das Mädel ist nicht so ganz auf der Höhe.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Sie war in der Hilfsschule …« sagte Pulk.
    »Sonderschule«, sagte Hoferer und nickte ernst. »Sie ist leicht verwirrt. Jedenfalls, der Kollege Süden hat die beiden aufgemischt, dann hat er ihnen noch was zugeflüstert, was die kleine Klinger aber nicht verstanden hat, und anschließend hat er sie auch noch getreten, die beiden, sie konnten sich ja nicht wehren, sie sind auf dem Boden gelegen.«
    »Wieso hat er sie getreten?«, fragte Sonja und stützte sich, wie es ihre Gewohnheit war, mit beiden Händen auf dem Tisch ab.
    »Hat er getan!«, sagte Pulk. »Und dann ist er abgehauen. Außerdem hat er im Wald kleine Kinder belästigt.«
    »Das hat er nicht«, sagte Sonja. »Und das wissen Sie genau, also lassen Sie bitte diese Unterstellungen. Haben die jungen Männer aus dem Laden Anzeige erstattet?«
    »Nein«, sagte Hoferer. »Stimmt das eigentlich, dass er bei Indianern aufgewachsen ist?«
    »Nein«, sagte Sonja, steckte die Hände in die Manteltaschen und sah aus dem Fenster. Trotz des Nieselregens radelten Kinder durch die Straßen, und gegenüber, im Vorgarten eines Wohnhauses, spielten drei kleine Buben Fußball.
    »Er sieht aber so aus wie einer«, sagte Pulk.
    »Wie sieht er aus?«, fragte Sonja

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