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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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und drehte sich zu ihnen um.
    »Wie ein Indianer, mit den langen Haaren und seinem Umhang und seiner Halskette. So einen mögen die Leute hier nicht.«
    »Ist er noch in der Hütte?«, fragte sie.
    »Ich glaube schon«, sagte Hoferer. »Frau Feyerabend, ich bin ein alter Bekannter von Tabor, ich hab ihn schon als Kind gekannt, und ich hab mich beim Hollerbauern dafür eingesetzt, dass er in der Hütte bleiben darf, ich hab nichts gegen ihn. Aber er kann nicht länger da oben bleiben, das ist illegal, und die Leute trauen sich nicht mehr allein in den Wald, weil sie Angst haben, er tut ihnen was an. Jeden Tag beschwert sich jemand über ihn, vor allem die Mütter. Sie wissen doch, dass die Kinder gerne im Wald spielen, gerade jetzt im Sommer. Wenn’s nicht regnet …« Er grinste, und sein Schnurrbart zitterte. »Der Tabor ist denen unheimlich, und ich kann das verstehen, und nach der Sache mit den Kindern, die ihn beobachtet haben, wie er da nackt rumgetanzt ist, befürchten die Eltern natürlich das Schlimmste. So sind die Leute halt …«
    »Was ist das eigentlich für ein komischer Name, Xaverl?«, fegte Pulk dazwischen, ohne eine Miene zu verziehen. »Tabor Süden. Das wollt ich dich schon lang fragen. So heißt doch keiner. Süden! Ich heiß doch auch nicht Norden! Oder Westen oder Osten. Wo kommt der Typ eigentlich her?«
    »Rufen Sie ihn doch demnächst mal an und fragen Sie ihn«, sagte Sonja und schaute auf ihre Uhr. Es war kurz vor drei.
    »Sekunde, Frau Feyerabend«, sagte Hoferer und wandte sich, bedächtig, von keiner Eile gestreift, an seinen Kollegen, der direkt neben ihm saß. »Südens Eltern waren Flüchtlinge, Sudetenland, glaub ich und die hießen schon immer so. Süden. So wie andere Mayer oder Schmidt. Verstehst?«
    »Also eine echte Südendynastie«, sagte Pulk und kicherte und zupfte an seiner Augenbraue.
    »Er war immer schon eher ein Eigenbrötler, aber jetzt …«, sagte Hoferer und sah Sonja an, »… jetzt ist er ein Einsiedler, und das gefällt den Leuten nicht, einer, der im Wald wohnt, verheißt nichts Gutes. Verstehen Sie das, Kollegin?«
    »Nein«, sagte sie. »Sie selbst haben also in letzter Zeit nicht mit ihm gesprochen, Herr Hoferer? Und wann zum letzten Mal?«
    »Wann zum letzten Mal?«, wiederholte der Polizeihauptmeister. Dann stand er auf, blieb aber vor seinem Stuhl stehen. »Vor vier Monaten ungefähr, das war nach der Sache mit den Kindern, die ihn nackt gesehen haben. Da hab ich mit ihm geredet, und er hat mir versprochen, dass er in Zukunft besser aufpassen würde.«
    »Vergiss den andern nicht!«, sagte Pulk.
    »Welchen andern?«, fragte Sonja.
    »Er hat mich verarscht, glaub ich, er hat gesagt, er wird einen gewissen Asfur losschicken, um zu schauen, ob jemand im Wald ist, der ihn vielleicht beobachtet. Ich weiß nicht, wen er damit gemeint hat. Er ist allein da oben, das weiß ich.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Natürlich.«
    »Wer soll dann dieser Asfur sein?«, fragte sie.
    »Fragen Sie ihn!«, sagte Pulk.
    »Und seit damals haben Sie keinen Kontakt mehr mit ihm gehabt?«, sagte Sonja und setzte ihre schwarze Schirmmütze auf.
    »Nein. Einmal, als er zum Einkaufen ins Dorf gekommen ist, wollt ich mit ihm sprechen, er aber nicht mit mir. Wir haben uns begrüßt, und das war’s. Er hat mit niemand geredet.«
    »So was kann man nicht bringen hier im Dorf«, sagte Pulk.
    »Ist er von Leuten aus Taging bedroht worden?«, fragte sie.
    »Glaub ich nicht«, sagte Hoferer.
    »Und was glauben Sie?«, fragte sie Pulk. Der zog die Mundwinkel herunter und starrte den Tisch an.
    »Ich glaub«, sagte er dann und rieb mit der flachen Hand über den Tisch, als wolle er ihn sauber wischen, »dass es Zeit ist, dass er abhaut, bevor noch was passiert. Er provoziert die Leute. Und mich auch.«
    »Warum?«, fragte sie.
    Aber sie erhielt keine Antwort.
    »Wir hoffen alle, Sie haben mehr Erfolg als Ihr Kollege damals, dieser Hauptkommissar … wie hieß er?«
    »Er heißt Thon.«
    »Genau. Also, wir alle hoffen, dass es Ihnen gelingt, unsern Waldschrat mitzunehmen, ich mein, er ist ein erwachsener Mann oder nicht? Die Zeit der Indianerspiele ist vorbei«, sagte Hoferer, ging zur Tür und öffnete sie. »Ich zeig Ihnen den Weg bis zum Waldrand. Ihr Auto müssen Sie stehen lassen, da gibt’s keine geteerte Straße. Sie werden ganz schön nass werden. Und Sie sind sicher, dass Sie da allein hinfinden?«
    »Ja«, sagte sie. »Und ich möchte mich bedanken, dass Sie meinem Kollegen geholfen

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