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Die Erfindung des Abschieds /

Die Erfindung des Abschieds /

Titel: Die Erfindung des Abschieds / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Ani
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weiß?«
    »Ja, sag’s mir! Und gib mir noch ein Wasser!«
    »Ich weiß seinen Namen«, sagte Zacharias und füllte das Glas auf. »Ich weiß, dass er Bulle ist und bei der Vermisstenstelle arbeitet. Ich weiß, dass er Camel-ohne raucht und einen guten Zug draufhat. Manchmal redet er viel, manchmal hockt er bloß da und schaut den Mädels nach. Und ich weiß, dass ihr befreundet seid. Willst du wissen, was ich von dir weiß? Du heißt Tabor Süden, obwohl ich immer noch bezweifle, dass das dein richtiger Name ist, und du arbeitest auch bei der Kripo, du kommst gut bei den Weibern an, weil die stehen auf so Indianer wie dich, und das war’s dann, Winnetou. Mehr weiß ich nicht. Weder von dir noch von deinem Kumpel. So ist das heutzutage, du weißt einen Namen, und das ist alles, egal, wie viel dir die Leute erzählen, egal, ob sie dich den ganzen Abend zuquatschen, du vergisst eh alles wieder, und das ist auch gesünder so. Das Einzige, was du dir merken musst, ist der Name, das haben sie gern: dass du sie wieder erkennst und beim Namen nennst. That’s all. Und mehr bleibt ja eh nicht übrig, dein Name auf einem Grabstein. Tabor Süden.« Er schüttelte den Kopf. »Heißt du echt so?«
    »Ich muss telefonieren.«
    »Vor der Tür.«
    »Stimmt so.« Süden legte ein Fünfmarkstück auf den Tresen und wandte sich um.
    »Da fehlt noch eine Mark.«
    »Die brauch ich zum Telefonieren.«
    »Habt ihr keine Handys bei der Polizei?«, rief Zacharias und schüttete das Mineralwasser weg, von dem Süden nur die Hälfte getrunken hatte. »He! Warst du schon im
Schillercafé?
Davon hat er ein paar Mal erzählt.«
    Süden winkte ab.
    »Und im
Fischerstüberl?
«
    Tabor winkte ab.
    »Und im
Iwan?
«
    Süden stutzte, sah sich noch einmal zu Zacharias um und nahm den Hörer vom Telefon, das im Durchgang an der Wand hing. Vor der Kneipe standen Bierbänke und Tische, die in diesem verregneten Sommer bisher selten benutzt worden waren.
    »Sonja, ich bin’s, Tabor. Was?«
    »Er hat hier angerufen und sich nach dir erkundigt«, sagte sie. Sie saß mit ihren Kollegen aus der Sonderkommission zusammen, und es wurde heftig darüber diskutiert, ob es richtig war, August Anz mit einer Lüge aus der Reserve zu locken. Er war bei seiner Aussage geblieben, dass er den Jungen nie gesehen habe, und verlangte seinen Freund zu sprechen, was Thon ablehnte; mit einem Rechtsanwalt wollte Anz noch nicht sprechen, und das war ungewöhnlich.
    »Wann hat er angerufen? Wann, Sonja?«
    »Vor zehn Minuten.«
    »So eine Scheiße!«
    »Ich hab versucht, dich zu erreichen, aber du warst nicht im Wagen. Wo bist du?«
    »Im Kunstpark. Von wo hat er angerufen? Von zu Hause?«
    »Das wissen wir nicht. Er hat gefragt, ob du da bist, und der Kollege sagte, du seist zwar wieder im Dienst, wärst aber grade aus dem Haus, und da hat er aufgelegt.«
    »Gib mir den Kollegen!«
    »Wir sind in einer Sitzung. Hör jetzt auf, nach Martin zu suchen! Wir brauchen dich hier.«
    »Du sollst mir den Kollegen geben, der mit Martin gesprochen hat!«
    »Hallo?«, sagte eine männliche Stimme am anderen Ende.
    »Wer ist da?«, fragte Süden. Er bewegte seinen Körper vor und zurück und nach rechts und links, wie zum Rhythmus einer Melodie, die sich in ihm ausbreitete und ihn bedrohte und – ihm Furcht einflößte. Von den vielen Menschen, die sich an diesem Tag in dieser Stadt um einen anderen sorgten, gehörte er zu den Hilflosesten.
    »Hier ist Thon, ich muss dich bitten, sofort ins Dezernat zu kommen, das ist eine dienstliche Anweisung, verstanden?«
    »In einer Stunde bin ich da. Ich möchte mit dem Kollegen …«
    »Du kommst sofort zurück! Ich bin dagegen, dass du wieder im Dienst bist, aber ich muss Charlys Entscheidung akzeptieren, ich teile sie nicht.«
    Er knallte den Hörer auf.
    Süden hängte ein und trat ins Freie. Wenigstens regnete es nicht. Am Himmel hingen die üblichen dunklen Wolken, und kein nüchterner Gastwirt machte sich noch Hoffnungen auf Biergartenwetter.
     
    Im Szenelokal
Iwan
waren sie nie gemeinsam gewesen, und Süden wunderte sich darüber, dass Martin da hinging; normalerweise mochte sein Freund diese kleinen Tische mit den kleinen Stühlen nicht, genauso wenig wie die modischen jungen Gäste mit ihren modischen Gesten, und die gestylten Wände und das gestylte Licht. Er war ein Wirtshausbewohner und bevorzugte große schwere Tische, an denen erwachsene Gäste sich im Laufe eines Abends in Kindsköpfe verwandelten, weil sie sonst verrückt werden

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