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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Haut und blieben in den Haaren hängen. Die Straße zog sich durch endlose Maisfelder; die Landschaft war platt, keine Bäume, keine Siedlungen, keinerlei Anzeichen von Leben oder Tod. Dann kam eine Abzweigung. Die Straße führte weiter in ein sonnendurchflutetes und spinnwebverklebtes Tal, das kein Ende zu nehmen schien. Ich aber bog links ab, der Sonne nach, und schritt durch leere, schon abgeerntete Felder. Der Weg war gut ausgefahren und daher leicht zu begehen. Die Sonne blendete, während sie über das Firmament zog. Ein paar Mal hielt ich an und rastete, legte mich ins trockene Gras, schaute in den Himmel und spürte, wie der Saft in den Halmen erschrak und stockte. Die Gegend war mir vollkommen unbekannt, doch irgendwo, sagte ich mir, werde ich schon rauskommen. Hauptsache, immer nach Westen gehen, nur weg von der Grenze.
    Gegen Abend zog wieder Nebel auf. Zuerst hing er in der Ferne, zwischen den gelben Feldern, wie Rauch, wuchs an, verdichtete sich, so dass man dahinter plötzlich nichts mehr erkennen konnte. Eine Weile durchbrach die Sonne diesen weißen Vorhang noch mit schrägen Strahlen, erhellte und erfüllte ihn von innen. Ein langer Schatten folgte mir wie ein Kinderdrachen, der auf die Erde gefallen war und keine Lust mehr hatte abzuheben. Der Nebel kroch aus den Senken, und die Sonne schien durch seine Dichte wie ein Unterwasserscheinwerfer. Nach und nach verloschen die Strahlen, mit dem Nebel war die Dämmerung gekommen, und ich fand mich in einem großen milchigen Vorhang, der über mir hing. Solange es möglich war, folgte ich dem Weg und versuchte, nicht von ihm abzukommen, schnell aber wurde der Vorhang so dicht, ja undurchdringlich, dass ich mich vorantastete, mit den Händen die schwere Abendluft zerteilend. Die ganze Zeit hatte ich das Gefühl, gleich auf jemanden zu stoßen, der wie ich in dieser kalten Milch stand, auf ein Hindernis, ich fürchtete mich davor, ein Gesicht oder einen Ellenbogen zu berühren oder irgendein Ding hervorzuziehen. Von diesen Gedanken wurde ich ganz starr in der Stille und Feuchtigkeit, die über mir zusammengeschlagen waren und mit dem Wind in westliche Richtung schwammen. So plastisch malte ich mir aus, wie ich in dieser Suppe jemanden anrempeln würde, jemanden umrennen, dass ich schließlich stehen blieb und ins verdichtete Schweigen hineinhorchte. Aber es kam ganz anders. Plötzlich streckte sich mir aus dem Nebel ein Arm entgegen. Ich schrak zurück, beruhigte mich aber schnell und berührte die ausgestreckte Hand. Von der anderen Seite des Nebels, wie hinter aufgehängten Leintüchern hervor, kamen Kinder. Es waren drei. Sie trugen verdreckte weiß-rote Trainingsanzüge, die zwei Kleineren waren barfuß, das dritte, ältere, trug Holzsandalen. Ihre Gesichter zeigten asiatische Züge, vielleicht waren es Mongolen oder Burjaten, sie hatten borstiges schwarzes Haar und dunkle Haut, wohl weniger von der Sonne als vom Schmutz. Sie betrachteten mich interessiert und irgendwie vorsichtig, wie einen Hirsch, der sich in einen fremden Vorgarten verirrt hat. Der Ältere packte meine Hand und zog mich mutig in den Nebel. Ich folgte ihm und versuchte, irgendetwas zu erkennen. Aber ich sah nicht mal meine eigenen Füße.
    *
    Vor uns loderten sanft Flammen auf, sie wuchsen und verbrannten die Nacht. Wir erstiegen einen Hügel, der Nebel blieb unten im Tal zurück, und plötzlich befanden wir uns inmitten von Licht und Lärm, an einem erstaunlichen Ort in den abgeernteten Weizenfeldern. Ringsum brannten Lagerfeuer und trockneten die feuchte Abenddämmerung. Es handelte sich um ein ziemlich großes Lager – auf den Stoppelfeldern waren Dutzende Militärzelte aufgeschlagen, neben jedem lagen Berge von Haushaltswaren, Geschirr, alte Reisetaschen und -säcke. Auch zwischen den Zelten brannten Feuer, die Funken flogen in den schwarz-weißen Himmel, wo die Finsternis schwerfällig mit der Nebelwatte verschmolz. An den Feuern wärmten sich Männer und Kinder, Frauen liefen aus den Zelten heraus und verschwanden in der flirrenden Dämmerung. Die Männer, klein von Wuchs, fast alle in Trainingsanzügen, einige mit Hüten auf dem Kopf, andere in Tarnkluft, legten Holzscheite nach und diskutierten über etwas, während die Frauen sich mit kurzen Rufen verständigten und ihren häuslichen Verrichtungen nachgingen. Die Kinder rannten in die Dunkelheit und kehrten mit trockenem Gras zurück, das sie ins Feuer warfen, um dann wieder in die tintigen Öffnungen abzutauchen. Wie viele

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