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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Silbermünzen, ein silberner Parker-Füller, ein silberner Siegelring mit dem Emblem des FC Schachtar und ein silbernes Teelöffelchen mit eingravierten Runen. Karolina trat zu Sibylle, strich ihr mit der Hand vorsichtig über die Wange, holte aus ihrer Tasche eine silberüberzogene Militärmarke zum Schutz vor Scharfschützen und legte sie neben die Kleine. Sibylle nickte dankend, und Karolina kehrte zufrieden an ihren Platz zurück. Die Frau, die Kräuter ins Feuer geworfen hatte, beugte sich über die Flammen, sog ihre Lungen voll Rauch, ging zum Neugeborenen und stieß die weiße rauchige Luft über dem Kopf des Mädchens aus, so dass es im Schlaf lächelte und auch alle anderen lächeln mussten, ich lächelte auch, und Karolina, die meinen Ellenbogen berührte, lachte ebenfalls. Die Frau aber, nachdem sie den Rauch ausgestoßen hatte, setzte sich zu dem Baby und sprach.
    *
    Du, die du aus dem Nichts entstanden bist, – sprach sie, – und aus dem Nirgendwo kommst. Süß wie das Licht, unsichtbar wie die Nacht. Die Luft, die du durch deiner Mutter Poren geatmet hast, der Himmel, der über dir schwamm, das Gestein, das in der Erde liegt, alles, was um dich herum geschah, mischt sich in deine Träume. Alles, was du im Traum siehst, alles, was du gebierst, wenn du erwachst – alles dient dir in dieser Nacht, alles kreist über dir wie Sterne um die Leere. Wärme ist von den Flüssen aufgestiegen, damit dir nicht zu kalt werde auf dem Weg. Kräuter sind aus der Erde gewachsen, damit du über sie hin wandelst auf deinem Weg von Osten. Tiere sind deinem Atem gefolgt und haben mit ihren Lenden den schwarzen Leib der Nacht gewärmt, und Geister sind umhergeflogen wie Schwalben, um einen Rastplatz für dich zu suchen. Aus Sternenhimmel ist dein Kopf gemacht. Aus Mondlicht dein rechtes Auge, aus gelber Sonne dein linkes. Aus Kometen und Himmelsgestein deine Zähne. Aus Oktobernebel deine Haut. Aus Regen sind deine Lungen entstanden, und vor Trockenheit schlägt dein frohes Herz. Aus den Stengeln bitterer Pflanzen wachsen deine Arme, aus saftigem Mais deine Schenkel. Wenn du die Augen öffnest, wächst der Mond, wenn du sie schließt, versinken Fischerboote. Wenn du seufzt, kämmen die Frauen ihr Haar in Trauer und Niedergeschlagenheit, und wenn du vom Himmel träumst, füllen sich die Kühe mit Milch.
    Alle, die gekommen sind, dich zu grüßen, die dir über Gebirgspfade folgen, singen jetzt nur für dich. Und in jedem verbergen sich Schwalben unterm Firmament und richten sich für den Winter ein. Denn wir werden gemeinsam überwintern, gemeinsam durch den Schnee waten, unser Vieh durch gefrorene Flüsse führen und endlose Herden vor uns hertreiben, über Pässe, durch tiefe Winternächte, durch verschneite Städte und über Eisenbahngleise. Schlaf, bis die Vögel auf den Schultern der erschöpften Männer erwachen, schlaf, solange denen, die dich lieben, das Herz noch schlägt. Wenn du erwachst, wird die Luft in Bewegung geraten und nach Westen fließen mit all unseren Wünschen, allen geheimen Worten, die wir dir gesagt haben. Wenn du erwachst, wirst du uns den Weg weisen aus dieser Wüste, wirst du eine lange dünne Linie für uns markieren, die uns zu denen führt, die uns einst verlassen haben.
    *
    Als sie das gesagt hatte, verstummte sie. Und alle, die sie verstanden hatten, verließen langsam das Zelt und gingen dorthin, wo die erregte Menge wartete. Sie kam als Letzte heraus, man machte ihr Platz, sie stellte sich vor die Männer und Frauen und betrachtete sie alle mit aufmerksamem Blick. Alle warteten gespannt, was sie sagen würde.
    – Sie hat goldene Augen und dunkle Haut, – sagte die Frau feierlich. – Und wo wir schon bis hierher in die Ferne gelangt sind, wo wir schon inmitten dieser Felder lagern, so wollen wir sie Moka nennen.
    Bei diesen Worten erhob sich ein heißer Wind, der die Hüte von den Köpfen riss. Die Frauen hoben die Arme zum Himmel und begannen wie besinnungslos zu schreien, und die Männer folgten und warfen ihre geballten Fäuste in die schwarze Oktoberluft, dankten den örtlichen Geistern für ihre Gnade und segneten die soeben geborene Prinzessin Moka, die Garantin ihrer Sicherheit und ihrer Transitfähigkeit, die Königin der Mongolen, Besitzerin silberner FC -Schachtar-Ringe, die goldäugige schlafende Schönheit, die ihnen Zuversicht und Hoffnung schenkte.
    In dieser Lust und Urgewalt nahm Karolina meinen Arm und knotete ein dünnes rotes Band an mein Handgelenk.
    – Für dich

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