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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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zur Erinnerung, – sagte sie, – an diese Nacht.
    Dann schob sie mich vorwärts, in die freudige, lärmende Menge, die mich sofort aufnahm und mit sich fortzog durch die Nacht, vorbei an den flackernden Feuern. Sie gratulierten sich laut gegenseitig, umarmten sich und sprangen in die Luft, warfen sich ihren Freunden an den Hals und liefen in die dicken Rauchschwaden, die über die niedergebrannten Feuer zogen. Ich warf einen Blick zurück, aber Karolina war schon verschwunden. Sie war nirgends zu sehen. Nur der Wind blähte die EU -Fahnen über den Zelten und hob den Staub in den Himmel, um den Weg frei zu machen für ausgelassene Männer mit kupfernen Stimmen, die einen Kreis bildeten, um ein Lied von unverständlichem Inhalt und unerhörter Kraft zu singen. Die Kinder rannten zwischen den Erwachsenen herum, schlüpften durch die Beine der Männer und entkamen kreischend und lachend den Umarmungen der Frauen, rannten in die Dunkelheit, sammelten den Nebel und schlugen mit langen trockenen Stecken die Sterne vom Himmel, und die Sterne prasselten herunter wie Nüsse, schlugen klangvoll auf die Segeltuchdächer der Zelte und fielen in die Feuer, aus denen sie Funkenregen schlugen, flogen in Taschen und aufgestellte Hüte, versprühten Licht und kalten Saft. Von Lärm und Unruhe getrieben, zog die Herde durch das Lager ins Tal mit seiner Stille und seinem Tonnenwasser. Träge gingen die Kühe an den Frauen vorbei, die ihnen Bänder und Tücher an die Hörner banden, und muhten schwer, als sie die wahnsinnigen Hügel verließen. Hinter ihnen her rannten die Schafe und Ziegen, auf denen Kinder ritten wie echte Reiternomaden, wie eine nie gesehene teuflische Kavallerie, die sich durch Regen und Dürre hierher durchgeschlagen hatte und jetzt auf dem Weg in die fruchtbarsten Täler und Landstriche war. Frauen in langen Gewändern und Regenmänteln tanzten um die Feuer, fielen in Ekstase, bewegten sich harmonisch und leicht, erspürten einander in diesen Bewegungen und wiederholten mit ihrem Tanz die Bewegungen der Vögel und Tiere, die sie einmal gesehen hatten.
    *
    Mir wurde das alles zu viel, also bahnte ich mir den Weg durch eine Kinderschar in Richtung Zelt und ging hinein, ohne auf die Schwelle zu treten. Wie zuvor erhellte der Fernseher die Nachtluft mit weichem, leichtem Schein. Karolina lag auf einem Schlafsack und küsste sich leidenschaftlich mit einer muskulösen Blondine in orangefarbener Latzhose. Die Blonde hatte Karolina den Pullover hochgeschoben und küsste ihre schweren dunklen Brüste, und Karolina zerzauste ihr kurzes helles Haar und löste die Träger der Hose. Ich tat, als sähe ich fern. Aber Karolina bemerkte mich und begann, noch leidenschaftlicher zu küssen. Ich versuchte, unbemerkt hinauszuschlüpfen.
    – Hermann, – rief Karolina lachend. – Wohin willst du?
    – Schon gut, – antwortete ich. – Macht ruhig weiter.
    – Keine Angst. Komm her.
    – Ich will euch nicht stören.
    Die Blonde drehte den Kopf und schaute mich ebenfalls an.
    – Du störst uns nicht, – sagte sie.
    – Du hilfst uns, – fügte Karolina hinzu und lachte wieder. – Komm, leg dich schlafen.
    Sie lagen in ihrer Umarmung und beobachteten interessiert, was ich tun würde. Ich dachte, dass es falsch wäre wegzugehen. Jeder feiert eben, wie er kann. Ich fand meinen Schlafsack, schlüpfte hinein, drehte mich zur Wand und schlief stinksauer ein.

5
    – . . . und gesagt, dass du noch hier bist.
    – Noch hier?
    – Ja.
    – Und warum hat sie mich nicht geweckt?
    – Du hättest geschlafen wie ein Baby.
    – Wie ein Baby? Was heißt das – wie ein Baby?
    – Fest.
    – Gut, dass sie mir wenigstens nicht die Papiere gestohlen hat.
    – . . .
    – EU -Kommission. Scharlatane.
    – . . .
    – Warum haben sie mich zurückgelassen?
    – Hermann, – sagte Tamara genervt, – was kann ich dafür?
    – Nichts, – antwortete ich mürrisch.
    *
    Eine undankbare Aufgabe, sich zu erinnern und alles an den rechten Platz zu rücken. Oben trieb die Sonne mit ihrem Bronzekörper dahin wie ein Fesselballon in warmen Luftströmen. Ich war gegen Mittag erwacht und hatte lange versucht, mich an den vorigen Tag und die endlose Nacht zu erinnern. Erinnerte mich an Gesänge, Namen und Gesichter, fing die Gerüche des Raums auf, in dem ich erwachte, lauschte den Luftzügen in der Stille. Die Stille machte mir Angst, schlafen die denn alle noch, dachte ich, vielleicht haben sie bis zum Morgen gefeiert und schlafen sich jetzt vor der

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