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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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heißen Uferpromenaden mit erstarrten Männern in altmodischen Badehosen, das Meer im Hintergrund, die alten sowjetischen Autos und das lustige Kinderspielzeug, die Fabriktore, Hörsäle, Schulkorridore, Eisenbahnabteile und Zimmer voll fröhlicher Gesichter, die in die Objektive der Kameras und damit auf die andere Seite der Zeit blickten.
    Auf den Bildern aus den sechziger Jahren tauchten zwei Mädchen auf, die sich auf den ersten Blick glichen, in Wirklichkeit aber sehr verschieden waren – die Ältere hatte einen ernsten konzentrierten Ausdruck in ihren schwarzen Augen und trug ein seltsames Medaillon um den Hals, die Jüngere guckte immer irgendwie zur Seite, ignorierte den Fotografen, Haarschleifen von absurder Größe machten sie lächerlich, aber auch weiblicher. Ich erkannte Tamara und Tamila sofort. Um sie herum, hinter ihnen, neben ihnen, über ihnen tummelten sich immer Erwachsene – eine große einträchtige Familie, in der sie das Glück hatten aufzuwachsen. Die Erwachsenen hatten offenbar jeden Schritt der Mädchen festgehalten – die Cousinen besuchten den Kindergarten (der real existierende Schrecken sowjetischer Erziehungseinrichtungen, eine Erzieherin von monströsem Körperumfang in einem Sommerkittel, Silvesterkostüme, Tänze, Spiele und die beklemmende Hoffnungslosigkeit des Chorgesangs), sie machten Ausflüge aufs Land (Tiere und Sonnenblumen, die Sonne im Wasser eines Sees und Kindergekreisch, das sogar auf den Fotos widerhallte), waren mit ihren Eltern am Meer (versengte Landschaften, Farbbilder, ausgebleicht wie Fahnen), sie gingen zur Schule (eine Schuluniform, die an Sträflingskleidung erinnerte, staatliche Feiertage, Gedichtrezitationen, erste Prüfungen, Freundinnen, die plötzlich groß wurden), von Bild zu Bild wurden sie den heutigen Erwachsenen und Unglücklichen immer ähnlicher, denen, die sie heute waren, in diesem Leben, in dieser Zeit.
    Auf den offiziellen Schulfotos war Tamara immer von Freundinnen umgeben, sie stand in der Regel im Mittelpunkt und hatte sich bei jemandem untergehakt. Wenn sie für sich war, einen Blumenstrauß im Arm oder etwas anderes, Wichtiges in der Hand, sah sie unabhängig aus und mit ihrem Blick eines Erwachsenen auch älter, als sie tatsächlich war. In den höheren Klassen war ihr Körper entwickelt wie der einer jungen Frau, sie trug Schmuck, was von der Schulleitung wohl getadelt, aber nicht verboten wurde. Tamila wirkte dagegen unsicher und kindlich unentwickelt, sogar auf den Fotos aus den letzten Schuljahren trug sie ausgeleierte Pullover, Haarschleifen und abgetragene Schuhe, sie stand immer ein wenig abseits und versuchte, unbemerkt aus dem Bild zu verschwinden.
    Amateurfotos mit verschwommenen Gesichtern, zerzausten Haaren und hastigen Bewegungen: Tamara im weißen Kittel als Studentin der Fachschule für Medizin, ab und zu erkannte ich die vom Fotografen erfassten Häuser und Landschaften und hätte mich sogar bei Bedarf daran erinnern können, wo ich in dieser Zeit war und was ich trieb. Allmählich tauchten immer mehr männliche Gesichter auf. Zunächst irgendwelche bartlosen Berufsschüler in schwarzen kurzen Jacken, Gettoblaster in der Hand, später Studenten, ebenfalls in weißen Kitteln. Die Männer wurden immer zahlreicher, sie sahen erwachsen und solide aus. In hellen Hemden und schweren dunklen Sakkos standen sie neben ihren Wolgas, saßen in Restaurants, tranken Kognak, trugen Digitaluhren und bunte Krawatten. Stahlgrauer Blick, vom Kampf verschrammte Fäuste. Sie tauchten neben Tamara auf, erstarrten für einen Augenblick, um aufs Foto zu kommen und in ihrer Vergangenheit zu bleiben. Tamara, leicht, atemberaubend, hatte furchtbare Frisuren, wie sie in den Achtzigern in Mode waren, trug verschwindend kurze Röcke und helle Sandaletten, die sie oft einfach in der Hand hielt, während sie auf dem heißen sommerlichen Asphalt stand. Ihre Augen waren tief und frech, ihr Lächeln war zart und herablassend, ihr Körper, der sich unter der Kleidung abzeichnete, brachte alle um den Verstand, die sie umschwärmten, die Dozenten und Fernfahrer, Räuber und Komsomolzen, Kooperativniks und Alkoholiker, die um jeden Preis mit ihr zusammen ins Bild kommen wollten.
    Tamila tauchte auch manchmal auf, allmählich sah sie aus wie eine Frau, doch neben Tamara wirkte sie irgendwie verloren. Zusammen hatten sie sich fast nie fotografieren lassen. Wahrscheinlich wollte Tamila nicht, dass man sie zusammen sah, aber wer weiß. Tamila ließ sich mehr

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