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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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auszurichten.
    – Was ist mit ihr?
    – Ich weiß nicht, sie ist im Krankenhaus.
    – Ist es was Ernstes?
    – Ich weiß nicht, – antwortete Tamara leise. – Sicher nicht.
    – Geht’s vielleicht etwas genauer? – Ich wurde nervös.
    – Schrei mich nicht an. – Tamara war beleidigt. – Ich weiß nichts. Schura hat mich gebeten, dir das auszurichten. Er sagte, er würde dich morgen früh abholen.
    – Gib mir das Telefon, ich rufe ihn an.
    – Es ist schon zu spät, um anzurufen, – entgegnete Tamara müde. – Warte bis morgen, er kommt und erzählt dir alles.
    – Und wenn es was Ernstes ist?
    – Warte trotzdem bis morgen, – wiederholte Tamara.
    – Du hast leicht reden.
    – Wieso denn leicht? – Tamara verstand nicht.
    – Es ist schließlich nicht deine Buchhalterin, die im Krankenhaus liegt.
    – Ich wusste, dass du zu ihr gehen wirst. Sie ist jung, und sie gefällt dir.
    – Wie kommst du denn darauf?
    – Ich seh’s doch, – erklärte Tamara. – Ich dachte bloß, dass du vielleicht bleibst, wo du schon gekommen bist. Aber ich verstehe, dass es einfach nicht möglich ist. Ich bin viel zu alt für dich, nicht wahr?
    – Nein, wieso? – versuchte ich zu widersprechen.
    – Doch, – wiederholte Tamara. – Du musst dich nicht rechtfertigen, alles in Ordnung. Ich hab mir auch keine großen Hoffnungen gemacht. Mach, wie es für dich am besten ist, okay?
    – Okay, – stimmte ich zu.
    Sie rauchte die Zigarette zu Ende und drückte traurig die Kippe auf dem Fußboden aus.
    *
    – Was ich dich fragen wollte: dieser Mann, so ein großer, dunkler auf den Fotos, wer ist das?
    – Der großgewachsene? – fragte Tamara zurück.
    – Ja.
    – Artur, – antwortete Tamara. – Tamilas Mann.
    –Tamilas? – wunderte ich mich. – Nicht deiner?
    – Später auch meiner. Er hat zunächst mit Tamila zusammengelebt, dann mit mir. Er hat mich sehr geliebt.
    – Und wo ist er jetzt?
    – Sie haben ihn umgebracht, – erklärte Tamara. – Vor etwa zehn Jahren. Man wollte ihm sein Business wegnehmen, er wollte es nicht hergeben. Da haben sie ihn mit seinem Auto in die Luft gejagt.
    – Krass.
    – Es ist schon so lange her, – sagte Tamara.
    – Und was ist mit deiner Cousine? – fragte ich weiter. – Redet ihr miteinander?
    – Schon, – antwortete Tamara. – Sie hat mir alles verziehen. Sie hat ihn auch sehr geliebt. Nach seinem Tod haben wir erst so richtig zueinander gefunden. So seltsam kann es zugehen. Also, – fragte sie nach langem Schweigen, – gehst du zu ihr?
    – Ich weiß nicht, – antwortete ich.

6
    Frische Luft füllte die Falten seiner Lederjacke, als hätte er in den Jackentaschen Stücke vom Oktobermorgen mitgebracht. Die Sonne erhellte das Zimmer, sie blendete die Augen und hatte mich schließlich geweckt. Der Versehrte durchquerte den Korridor entschlossenen Schrittes, wie einer, der den Wert seiner Zeit und seiner Möglichkeiten kennt, grüßte geschäftig, freut mich, dich zu sehen, hieß das, gut, dass du lebend zurückgekehrt bist. Er ging in die Küche, er füllte den Raum, er zwängte sich zwischen Tisch und Spülbecken hindurch, knarzte mit der Jacke, sah aus dem Fenster. In der Nacht hatte er Tamara noch einmal angerufen, gefragt, ob ich da sei, ob alles in Ordnung sei, und angekündigt, dass er vorbeikäme. Nun saß er am Tisch, und die breiten schrägen Sonnenstrahlen verliehen seiner Haut die Farbe von Gold und Kupfer. Sein Blick streifte Tamaras Gesicht, das müde und verschlafen war, dann nahm er sich mich vor.
    – Weißt du, – sagte er, – es ist gut, dass du es nicht bis zu meinem Bruder geschafft hast. Man hat ihn vor paar Tagen geschnappt. Ich hab mich schon gefragt, was los ist – ich ruf ihn immer wieder an, und die ganze Zeit meldet sich irgend so ein Sergeant. Zuerst dachte ich, er hätte das Handy vertickt oder verloren oder sonst was. Und da stellt sich heraus, dass er schon seit drei Tagen in U-Haft sitzt. Seine Frau hat mich gestern angerufen und gesagt, alles sei okay, keine Sorge, er sitzt, hat Appetit und den richtigen Anwalt, bald ist er wieder draußen.
    – Und warum hat man ihn eingesperrt? – fragte ich.
    – Das weiß ich nicht, – sagte Schura ehrlich, – das letzte Mal wurde er wegen der Steuererklärung eingebuchtet, er wollte sie für das kommende Jahr einreichen. Davor wegen Bestechung von Staatsbediensteten. Er ist im Mobilfunkgeschäft tätig.
    – Anbieter?
    – Verkauft Handys, – erklärte Schura. – Gebrauchte.
    –

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