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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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es aufmerksam lesen.
    – Irgendwas Kirchliches?
    – Weiß nicht, – antwortete Tamara müde, steckte mir das Buch zu und schob mich hinaus.
    *
    Das Eisentor mit den schwarzen Sternen sah verwaist aus, Leere und Verfall herrschten ringsumher, doch direkt vor dem Tor waren frische Autospuren zu erkennen. Spinnweben hielten die Luft zusammen. Es war still und leer, die Luft wärmte sich nur langsam auf, wie eine Wohnung, in der niemand wohnt. Es ging auf den Herbst zu. Man konnte jemandes Gegenwart hinter dem Tor spüren, als stünde er da und lugte durch die Schießscharten. Der Versehrte hupte, aber vergebens – keine Bewegung hinter dem schwarzen Tor, kein Laut hinter den Festungsgräben. Schura holte das Handy heraus.
    – Hallo, – ertönte stumpf und misstrauisch eine Stimme aus dem Hörer.
    – Komm schon, mach auf, – antwortete der Versehrte statt einer Begrüßung.
    Er war irgendwie still, nicht nur heute, sondern schon die ganzen letzten Wochen. Seine trotzige Hartnäckigkeit war verschwunden. Der Stürmerstar kommt in die Jahre, dachte ich. Jetzt schon wieder – anstatt den verängstigten Ernst anzumotzen, saß er da und wartete geduldig, bis dieser das Tor öffnete, uns erkannte und hereinließ.
    Ernst war offensichtlich auch still geworden, hatte sich getarnt und überhaupt auf Winterkleidung umgestellt. Er trug einen kurzen gestutzten Soldatenmantel, darunter ein rotes ausgeleiertes T-Shirt. Armeehalbstiefel. In den Händen hielt er einen Pionierspaten, etwas Explosives beulte seine Taschen, vielleicht tatsächlich Handgranaten. Er freute sich, mich zu sehen, es sei gut, dass ich da wäre, er habe mir viel zu erzählen, er sei von einer äußerst spannenden Expedition zurück, für mich als Historiker wäre das sehr interessant, er redete wie ein Wasserfall, aber Schura unterbrach ihn, er wolle nichts von Nazi-Panzern und überhaupt nichts von Nazis hören und forderte uns auf, die Klappe zu halten. Wir standen mitten im Hof, auf dem gerissenen Asphalt, den ganzen Sommer war hier wild das Gras gewachsen, um nun in Erwartung der Kälte zu erstarren. Der Versehrte saß auf der Motorhaube seines Wagens, wir standen neben ihm, für Außenstehende sah es wohl wie eine nette Begegnung aus, alles wie in guten alten Zeiten.
    Sie würden jeden Augenblick kommen. Schura lauschte auf die Geräusche von der Landstraße, bat Ernst, den Spaten wegzulegen, um uns nicht zu blamieren, und forderte uns auf zu schweigen und ihn nicht zu stören – er würde reden, und unsere Aufgabe sei, für den Fall der Fälle die Handgranaten zu zünden. Ich verstand nicht sofort, dass das ein Scherz sein sollte.
    Eine halbe Stunde später waren sie da; ich merkte, wie Ernst sich anspannte, wie Schura aufhorchte, klar, niemand wusste, was zu erwarten war und was sie wirklich wollten. Zuerst kam der mir bekannte Jeep, ich schaute genauer hin, in der Hoffnung, Kolja hinterm Steuer zu sehen, aber dort saß ein Kerl um die fünfzig, natürlich kurz geschoren, in gefütterter Lederjacke und mit schwerem Blick. Die Hintertür des Jeeps ging auf, und Nikolaitsch fiel heraus. Auch er trug Lederjacke und eine schwarze Kappe, die seine blasse Herbstglatze bedeckte. Als er mich erblickte, hielt er für einen Augenblick inne, als müsse er im Innern Informationen abgleichen. Dann senkte er den Blick und lief hastig zu dem BMW , der leise hinterhergesurrt war. Riss hektisch die Tür auf und ließ einen hochgewachsenen grauhaarigen Mann in dunklem Mantel und mit Aktenkoffer in der Hand aussteigen. Der Graue knöpfte den Mantel zu, während Nikolaitsch den Aktenkoffer hielt, ihn an seinen Bauch drückte, so dass es aus der Entfernung aussah, als hielte er ihn wie ein gut dressierter Schäferhund zwischen den Zähnen, dann nahm der Graue seinen Aktenkoffer wieder an sich und ging entschlossen auf uns zu. Bodyguards waren keine dabei. Die beiden kamen näher, grüßten reserviert, ohne Händedruck. Nikolaitsch warf verstohlene Blicke in meine Richtung, schwänzelte um den Grauen herum, rief Ernst und dem Versehrten kurze Sätze zu und sah mutlos und unsicher aus. Mir war klar, dass mein Erscheinen ihn überraschte, es brachte ihn aus dem Konzept, ich war es ja, vor dem er sich ein paar Monate zuvor groß aufgespielt hatte, meine Seele war es, die er für fetten Zins zu kaufen versucht hatte, groß dastehen wollte er vor mir und sich behaupten, und plötzlich so eine Scheiße, nun musste er dem Grauen in den Arsch kriechen, der im Gegensatz zu

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