Die Erfindung des Jazz im Donbass
zögerte einen Augenblick und setzte sich wieder an den Tisch, um weiter zu berichten. Wie sich herausstellte, hatte sich in der Zeit, seit ich untergetaucht war, einiges ereignet. Die Maiskönige, erklärte der Versehrte, waren endgültig zu Raubtieren geworden. Obwohl sie unsere Tankstelle noch in Ruhe ließen, zeichneten sich Probleme ab, wenn nicht heute, dann morgen. Inzwischen setzten sie Ernst unter Druck, den Freund aller Flieger, sie hatten ihn auf dem Flugplatz aufgesucht und ihm inoffiziell ausrichten lassen, dass der Flugplatz nach wie vor dem Staat gehörte, und auch wenn er äußerlich total vergammelt und die zivile Luftfahrt in der Stadt nicht mehr existent war, wurde die Start- und Landebahn immer noch als staatliches Eigentum geführt, weswegen es nun höchste Zeit sei, ebendiese Start- und Landebahn an das treue werktätige Volk zu übergeben. Ernsts sämtliche Versuche, die Maiskönige zum Teufel zu schicken, wurden ignoriert. Mehr noch, Ernst wurde streng verwarnt, dass man die Angelegenheit in die Hände der Miliz legen würde, wenn er auf die Idee käme, weiterhin mit Wort oder Tat Widerstand zu leisten, und für wen die Rechtsschutzorgane hier arbeiteten, müsse man ja wohl nicht erst erklären. Ernst wurde also vorgeschlagen, binnen der nächsten drei Tage seinen Kram zu packen und das Gelände des von ihm unrechtmäßig besetzten Objekts zu räumen.
– Und Ernst? – fragte ich
– Hält sich wacker, – antwortete der Versehrte. – Hat sich im Hof verbarrikadiert, die im Krieg erbeuteten Handgranaten rausgeholt, sitzt da und wartet. Wir versuchen etwas zu tun, haben bei der Staatsanwaltschaft vorgesprochen, wollten die Maiskönige kontaktieren, aber die stellen sich tot – formell kann man nichts machen, der Flugplatz befindet sich wirklich im Staatsbesitz.
– Schura, – fragte ich, – was ich nicht verstehe: wozu brauchen sie den Flugplatz? Wozu brauchen sie unsere Tankstelle? Wollen die einfach alles an sich reißen oder wie?
– Na ja, sie haben ihr eigenes Strukturwandelprogramm für die Region, – sagte der Versehrte zögernd, – sie wollen eine Asphaltfabrik auf dem Flugplatz bauen.
– Und woanders können sie ihre Asphaltfabrik nicht bauen? Ist das etwa ein gesegneter Standort oder wie?
– Harry, – erklärte mir der Versehrte freundschaftlich, – die können sie dort bauen, wo sie wollen. Und sie wollen sie eben dort bauen, wo der Flugplatz ist, kapiert?
– Kapiert. Und was machen wir jetzt?
– Weißt du was, – sagte er nach kurzem Überlegen, – lass du lieber die Finger davon. Kapiert? Du hast deine eigenen Probleme. Wozu dann noch der Flugplatz?
– Was heißt denn – wozu? Und was ist mit dir – wozu brauchst du ihn?
– Na, ich lebe hier, – antwortete der Versehrte.
– Schura, ich lebe auch hier, – erinnerte ich ihn. – Was soll der Scheiß, Schura? Vertraust du mir etwa nicht?
– Doch, ich vertraue dir, – erklärte der Versehrte unwillig. – Ich hab irgendwie eine böse Vorahnung.
– Und was für eine?
– Ich denke, es wird nichts.
– Na, dann wird es halt nichts. Man muss es aber trotzdem versuchen, richtig?
– Richtig, – stimmte Schura mir zu.
– Man darf nicht einfach den Schwanz einziehen, stimmt’s?
– Stimmt, – meinte er. – Okay, – sagte er, – reg dich nicht auf. Ich frage mich nur, warum sie uns damals im Sommer in Ruhe gelassen haben?
– Und warum? Was meinst du?
– Ich weiß nicht, – antwortete der Versehrte, – keine Ahnung.
– Okay, die haben uns in Ruhe gelassen, und basta.
– Ist schon richtig, – stimmte er mir zu. – Das bedeutet aber nicht, dass sie uns auch jetzt in Ruhe lassen werden.
– Schura, – sagte ich, – auch wenn sie uns jetzt nicht in Ruhe lassen, dann ist das unser gemeinsames Problem. Gebongt?
– Gebongt, – sagte der Versehrte nach kurzem Zögern und ging zur Tür.
An der Schwelle stellte sich mir Tamara in den Weg.
– Warte. – Sie hielt mich für einen Augenblick auf, und dieser Augenblick genügte, damit der Versehrte verstand, die Treppe hinuntertappte und uns allein ließ. – Verzeih mir, ich habe gestern zu viel geredet.
– Alles in Ordnung, Tamara, – versuchte ich sie zu beruhigen. – Ich rufe dich heute Abend an.
– Ruf an, – stimmte sie zu, – wenn du es nicht vergisst.
– Ich vergess es nicht, – beteuerte ich.
– Gut, – sagte sie, – ist auch nicht so wichtig. Hier, der Priester hat mir ein Buch für dich gegeben, du sollst
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