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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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Brigade. Ernst stürzte sich auf sie und schlug in wenigen Sekunden die Windschutzscheibe des Ladas kaputt. Und da gerieten die Einheimischen in Panik und hauten ab, um sich nicht mit diesen beknackten Archäologen anlegen zu müssen.
     
    Die Luft war äquatorial warm und dicht, das Eigelb der Sonne schwamm im Wasser wie in heißem Öl. Der vom Nichtstun erschöpfte alte Grieche gab ihnen frei, und sie betraten den Hafen mit seinen tausend Bars, Kneipen und Pubs. Sie gingen den Clarke Quay entlang, allerdings nur bis zur nächsten Bierkneipe, wo sich ihnen wie zufällig drei chinesische Nutten an den Hals warfen, zwei normale, die dritte noch ein ganz kleines Mädchen, so dass er, Nikolaitsch, für einen Augenblick Schiss kriegte, weil er wusste, dass in Singapur zwar alles erlaubt ist, aber erst ab achtzehn. Seine ewige Feigheit, die er so bemüht war loszuwerden, wollte schon wieder erwachen. Aber die anderen fingen an, ihn zu beschwichtigen, und hatten schließlich Erfolg. Zu sehr war Nikolaitsch darauf aus, akzeptiert zu werden, zu sehr wollte er ihnen gefallen, das musste also passieren, und es passierte tatsächlich. Nikolaitsch war schon nach dem Rum betrunken. Und als sie ein Taxi nahmen und sich nach Chinatown aufmachten und dort, in den engen lärmigen Vierteln in einer halblegalen Wohnung, wie aus dem Nichts fürchterlicher chinesischer Schnaps auftauchte, war er schon kaum mehr bei sich. Sie schenkten ihm immer wieder nach, lachten und klopften ihm auf die Schulter, so dass er sich total gehen ließ und die Kontrolle verlor. Eine Nutte war dick und laut. Sie saß auf dem Boden, schrie etwas Unverständliches und zupfte ihren kurzen roten Rock zurecht. Die andere war mager, ihre großen Brüste pendelten traurig hin und her, irritierend und einschüchternd. Die Dritte dagegen, die Jüngste, war still und traurig, sie stand am Fenster, und die heißen Strahlen der Laternen draußen färbten ihre Haut golden. Sie hatte kurze Haare, was sie ganz jung machte, und zu dickes Make-up, aber auch das gefiel Nikolaitsch, denn es wirkte ebenfalls kindlich, nett und unaufdringlich. Sie hatte volle Lippen und einen langen dünnen Hals, umschlossen von einem Lederhalsband mit Stahlspikes. Dieses Halsband brachte Nikolaitsch um den Verstand, er verlor den Kopf wegen diesem Schulmädchen, tanzte um sie herum und versuchte, Small Talk zu machen, indem er die nautischen Fachausdrücke auf Englisch aus seinem Gedächtnis kramte. Sie trug ein kurzes rotes Top mit Spaghettiträgern, einen smaragdgrünen Rock und grelle rosa Strümpfe. An den Füßen leichte Sandalen, die beim Gehen laut klatschten. Sie hatte zarten Flaum auf den Schultern und ein Jesus-Porträt auf dem rechten Schulterblatt, obwohl sie bestimmt Buddhistin war. Und nun wand sich Nikolaitsch wie eine Schlange um sie, und sie alle feuerten ihn noch an – los, Chef, sei ein Mann, du bist doch einer von uns. Er traute sich, sie zu küssen. Ihr Atem war bitter-herb, schmeckte nach Feuer und Asche. Sie küsste gekonnt und bereitwillig, lang und leidenschaftlich, Nikolaitsch war noch nie im Leben so geküsst worden. Und dann konnten sie nicht mehr und brachen in Gelächter aus, zeigten mit den Fingern auf den erregt-verlegenen Nikolaitsch – los, Chef, fick diesen Jungen, wenn du dich schon so an ihm festgesaugt hast, pack ihn an den Eiern! Auch die Nutten platzten vor Lachen, die Dicke wälzte sich sogar auf dem Boden und schlug hysterisch den Kopf auf. Und auch der Junge mit dem Jesus auf dem Rücken lachte unbekümmert und verächtlich, ließ Nikolaitsch aber nicht los, was für neue Lachanfälle sorgte. Nikolaitsch, der sofort nüchtern wurde und kapierte, was passiert war, stand da und hatte keine Kraft, sich von der Stelle zu rühren, versuchte sich zusammenzureißen und versank immer tiefer in trübes warmes Wasser, aus dem ihn nichts und niemand je würde herausholen können.
     
    Es hatte gewirkt. Erstens trauten sich die Älteren nicht mehr, ihn als Laufburschen zu missbrauchen. Nun schickte man andere los, ihm dagegen begegnete man mit Sympathie und, wenn auch zurückhaltend, so doch mit ehrlicher Freundschaft. Er wurde respektiert. Plötzlich wussten alle – wenn er keine Angst hatte, allein gegen die Einheimischen zu ziehen, dann war er, was Kommunikation und soziale Hierarchie anbetraf, nicht ganz abzuschreiben. Die Hauptsache aber war, dass ganz unerwartet auch Asja es wusste, von der überhaupt keiner mehr irgendwas erwartet hatte. Sie wusste es

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