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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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sich weiter nach Osten durchzuschlagen – dorthin, wo man noch auf ihn wartete.
    Nach einer Woche Warten, in der die Wellen von der stechenden Sonne aufgeheizt und sie immer noch nicht beladen wurden, überredeten sie Nikolaitsch, mit ihnen an Land zu gehen. Komm schon, Chef, sagten sie, komm mit, wir wollen ein bisschen Spaß haben. Wir werden für dich das beste Mädchen aussuchen. Der Kapitän des besten Schiffs muss das beste Mädchen haben, schmeichelten sie sich bei ihm ein. Und er, Blödarsch, nahm es ihnen ab.
     
    Oder diese ganz alte Geschichte, die ihm in den Achtzigern auf der Krim, beim Praktikum, passiert war. Auch das stand ihm jetzt so klar vor Augen, als wäre er wieder dort. Ihm stockte der Atem von der nächtlichen Luft, vom Grün der Krim, das müde war nach dem langen Sommer, und vom unglaublich bitteren Wasser in der Bucht. Der Wind blies von Osten tiefe Wolkenhaufen heran, die über den Fischerbooten, den leeren nächtlichen Stränden, der versengten Steppe und den schwarzen Narben der Wege schwammen. Es hatte wie üblich begonnen – eine archäologische Expedition, viele Leute, die sich kaum kannten, Mut, Freude und Tapferkeit, die sowjetische Krim, noch ohne Tataren, ohne Urlaubsindustrie – schlechter Wein, Kolchoswirtschaft, Tonscherben und Knochen im trockenen Boden. Ernst war der Jüngste, so wurde er auch behandelt. Er gewöhnte sich sogar an den ständigen Druck, denn ändern konnte er daran nichts und beschweren wollte er sich nicht. Und da war ja noch die Dozentin, blutjung, schrieb noch an ihrer Doktorarbeit, Asja, genau – Asja, die für ihre Brigade verantwortlich war. Ihre Brigade schlug immer über die Stränge und verstieß gegen sämtliche christliche Gebote. Asja kriegte immer eins auf den Deckel, von der Leitung, aber auch von den Kollegen und auch, muss man sagen, von der lokalen Bevölkerung, obwohl das ja nicht das Thema unserer Geschichte ist. Alles begann ganz unmerklich. Zunächst half ihr Ernst bei alltäglichen Dingen. Versuchte, ständig um sie zu sein. Begleitete sie zum Bus, wenn sie in die Stadt fuhr, holte sie von der Haltestelle ab. Saß abends mit ihr am Feuer, reichte ihr das Badetuch, wenn sie aus dem Meer stieg, und das alles rein brüderlich, ohne Verstoß gegen die Hierarchie, ohne Hoffnung auf Gegenseitigkeit, begleitet von ständiger Häme der älteren Kollegen. Es war, kurzum, so wie es nur mit siebzehn sein kann. Asja blieb reserviert. Manchmal glaubte er, dass zwischen ihnen etwas im Entstehen war, sie gewisse Andeutungen machte. Doch immer wechselte sie zu dienstlichen Themen und zerstörte alle seine Hoffnungen, was ihn schwer, aber nie besonders lange leiden ließ. Außerdem baggerten die Einheimischen Asja immer wieder an, im Gegensatz zu Ernst handelten sie geübt und entschlossen, brachten sie mit ihrem uralten Lada in die Stadt, begleiteten sie nachts zum Lager zurück und schickten ihr hungrige Blicke nach. Die Älteren hatten richtig Spaß daran – sie machten sich über Ernst und seine unglückliche Liebe lustig. Das Schlimmste war, dass es gar keine Liebe gab, zumindest ihrerseits. Sie ignorierte ihn weiter, erlaubte ihm aber, an der Haltestelle zu warten. Genau dort fingen die Einheimischen ihn ab. Gaben ihm zu verstehen, er solle besser nicht länger warten, ins Lager verschwinden und es sich selbst besorgen und sich nicht unnötig an ihr Mädchen hängen. Genau so nannten sie Asja – »unser Mädchen«. Da begann Ernst sich aufzuregen. Erst beschimpfte er die Einheimischen, dann fuchtelte er mit den Fäusten. Die Einheimischen wunderten sich, schlugen ihn zu Boden und pfefferten ihm ein paar auf die Nieren. Er ging zurück ins Lager, nahm wortlos seinen Pionierspaten, ohne auf das Lachen und das Gespött seiner Brigade zu achten, und stapfte zurück zur Haltestelle. Der Brigade dämmerte, dass die Einheimischen den Jungen vielleicht einfach zum Krüppel hauen würden, und folgte ihm. Ernst wusste, dass er alles bis zum Ende durchstehen musste, den Blick nicht abwenden durfte, wenn er nicht weiter das kleine Arschloch bleiben wollte, das man nach Wein schickt und das die Frauen ignorieren. Er wusste sehr wohl, dass er auf das Schlimmste gefasst sein musste, fühlte aber gleichzeitig, dass es nur anfangs schlimm sein würde und danach scheißegal. Mit diesem Wissen rückte er gegen die Einheimischen vor. Die standen immer noch an der Haltestelle und feierten ihren Sieg. Ernst erwarteten sie natürlich nicht. Noch weniger die ganze

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