Die Erfindung des Jazz im Donbass

genauso leicht mit links auf und ließ ihn wieder hochsteigen. Kickte weiter, ohne den Ball fallen zu lassen. Leicht und unverkrampft zog er geschickt den Bauch ein, um die Flugbahn nicht zu stören, manchmal nahm er den Ball auch mit der Schulter, manchmal mit dem Kopf. Kotscha und ich verstummten und beobachteten schweigend dieses Wunder an Eleganz. Es schien, als habe der Versehrte nichts von seiner Form verloren, er schwitzte nicht einmal, nur seine Augen glänzten fiebrig, der Atem ging schneller. Und den Bauch drehte er in alle Richtungen, damit er nicht störte.
     
    Drei Laster kamen von der Landstraße her. Die Fahrer stiegen aus, grüßten Kotscha und begannen ebenfalls, dem Versehrten zuzusehen.
    – Schura! – Einer hielt es schließlich nicht mehr aus. – Gib ab zu mir!
    Der Versehrte blinzelte in seine Richtung und gab plötzlich ganz locker ab. Der Fahrer stoppte den Ball, legte ihn sich irgendwie ungelenk zurecht und bolzte ihn zurück. Schura nahm ihn an, brachte ihn unter Kontrolle und klemmte ihn sich dann zwischen die Füße. Die Fahrer warfen sich mit Gebrüll auf ihn. Es begann ein Gerangel. Der Versehrte schälte sich aus den Umarmungen der Fahrer, ohne den Ball zu verlieren, ließ die Gegner ihn umkreisen, zwang sie zu fallen und einander das Bein zu stellen. Die Fahrer stürzten sich auf den Versehrten wie Hunde auf einen schläfrigen Bären, konnten aber nichts ausrichten, wurden furchtbar wütend und verteilten rechts und links Kopfnüsse. Nach und nach geriet der Versehrte doch außer Atem und begann sich in die Tiefen des asphaltierten Platzes zurückzuziehen, dabei wurde er mehrmals getreten und hinkte jetzt leicht. Die Fahrer rochen Blut und warfen sich noch verzweifelter auf ihn. Der Versehrte konnte sich noch einmal herauswinden, ließ einen der Fahrer unter seinem Bauch ins Leere laufen, der rannte mit seinem Kopf in den zweiten, und beide fielen auf den Asphalt. Der dritte machte sich daran, ihnen zu helfen. Der Versehrte schöpfte Atem und schaute zu uns herüber.
    – Hermann, – rief er. – Komm, spiel mit! Sonst sind es drei gegen einen!
    Ich stürzte mich sofort in den Kampf. Der Versehrte spielte mir zu, ich nahm den Ball an und trieb ihn vor mir her über den Hof. Die Fahrer waren hinter mir her. Nach einigen Runden um den Platz gerieten auch sie außer Atem, blieben stehen, stützten die Hände auf die Knie, atmeten schwer, ließen die Zungen heraushängen wie Leichen und erinnerten von weitem an Entwerter in der Straßenbahn. Ich hielt an und blickte fragend zum Versehrten. Der winkte in Richtung der Fahrer, lass sie auch ein bisschen spielen, sollte das heißen. Ich bolzte in Richtung des Längsten unter ihnen, der am nächsten stand. Erfreut warf er sich dem Ball entgegen, drehte sich um und zog die Lederkugel mit aller Kraft ab. Der Ball schoss in den Himmel, durchschnitt die Luft, berührte die Wolken und verschwand dann im dichten Gras, das hinter dem Asphalt wuchs. Unter den Fahrern machte sich Enttäuschung breit. Nachdem sie sich aber beraten hatten, stapften sie ins Gestrüpp. Der Versehrte und ich folgten ihnen. Sogar Kotscha erhob sich. In einer auseinandergezogenen Reihe traten wir in Staub und Wärme, wie afrikanische Jäger, die aus dem Gras Löwen aufscheuchen wollen. Der Ball lag irgendwo im Gesträuch, man konnte sein wachsames Knurren hören und das kaum wahrnehmbare Schlagen seines Lederherzens. Wir schritten vorsichtig voran, versuchten, ihn zu erspähen, riefen uns manchmal etwas zu und schauten in den Himmel, über den immer neue Wolken zogen.
     
    Plötzlich erinnerte mich das an etwas – Männer, die wachsam durch das hüfthohe Gras stapften, mit den Händen die hohen Halme zur Seite schoben, aufmerksam das Geflecht der jungen Triebe musterten, auf die Stimmen lauschten, die aus dem Dickicht schollen, Vögel aufscheuchten und langsam das endlose Feld durchschritten. So etwas hatte ich schon einmal gesehen. Angespannte Rücken, Gestalten, die in der Dämmerung erstarren, weiße Hemden, die im Dunkeln leuchten.
    Wann war das? 1990 , scheint mir. Ja, 1990.  Sommer. Heimsieg über Woroschilowgrad. Ein Tor des Versehrten in der letzten Minute. Vielleicht sein bestes Spiel. Das Restaurant »Ukraina« am Park, gegenüber der Feuerwache. Eine schon abendliche Siegesfeier, Mafiosi zusammen mit unseren Spielern, festlich gekleidete Frauen, Männer in weißen Hemden und Trainingsanzügen, Kellner, Kooperativniks, wir, jung, sitzen mit Banditen an einem