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Die Erfindung des Jazz im Donbass

Die Erfindung des Jazz im Donbass

Titel: Die Erfindung des Jazz im Donbass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serhij Zhadan
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der Couch sein mit Uniformstoff bezogenes Abgängeralbum von der Armee und drückte es mir in die Hand. Ich wehrte mich halbherzig und versuchte wieder einzuschlafen, was nach dem Abgängeralbum nicht so einfach war. Schließlich setzte ich mich auf, wickelte mich in die kratzige Krankenhausdecke und hörte zu. Kotscha sprach von Liebe, erzählte von Rendezvous mit seiner zukünftigen Ehefrau und von Sex auf dem Vordersitz des alten Wolga. Warum nicht im Fond? – fragte ich ihn, – alle machen es auf dem Rücksitz. Kumpel, – erklärte Kotscha, – der alte Wolga hat auch vorne eine Sitzbank, ungeteilt, genau wie der Rücksitz, also macht es keinen Unterschied, wo man’s treibt, kapiert? Kapiert, – sagte ich. Kotscha nickte dankbar und ging seinen bombenstarken Tee brauen.
    Nach einiger Zeit ertönte die erste Autohupe von der Tankstelle. Gereizt setzte Kotscha die Brille auf und ging zur Tür.
    – Kotscha, – sagte ich, – komm, ich helfe dir.
    – Lass nur, Harry, – winkte er ab, – was kannst du schon helfen . . .
    – Irgendwas.
    – Na dann. – Er wartete in der Tür, während ich nach meinen Kleidern suchte. – Nur zieh dir was anderes an. Was willst du hier mit deiner Jeans? Ich hab alte Klamotten unter der Couch, sieh dir die mal an, okay? – Und ging.
    *
    Unter seiner Couch lagen zwei Koffer, vollgestopft mit alten Lumpen. Sie rochen nach Tabak und Rasierwasser. Angewidert wühlte ich im ersten Koffer herum und fand eine schwarze Militärhose, an den Knien geflickt, sonst aber in recht ordentlichem Zustand, die stark nach Rasierwasser roch. Ich öffnete den anderen Koffer und zog ein Bundeswehrhemd heraus, zerknittert, aber nicht zerrissen, und zog es an. Zu eng. Deswegen trug Kotscha es wohl nicht, er war ähnlich gebaut wie ich. Aber es gab keine große Auswahl. Ich blickte ins Fenster. Mein Spiegelbild wurde von der Sonne zerkleinert und verschwand in den Strahlen. Nur Konturen waren zu erkennen, Schatten. Von weitem sah ich wie ein Panzerschütze aus, dessen Panzer zwar längst verbrannt, dessen Kampfesmut jedoch ungebrochen war. Mit diesem Gedanken machte ich mich an die Arbeit.
    *
    Um neun kam der Versehrte. Musterte abschätzig meine Arbeitskleidung, grunzte und ging in seine Werkstatt. In der Tat, ich störte eher, als dass ich half. Verschüttete ein paar Mal Benzin, hielt ein langes Schwätzchen mit einem Fernfahrer, der nach Polen fuhr, hing Kotscha am Rockzipfel und hinderte ihn an der Erfüllung seiner beruflichen Pflichten. Schließlich hielt es der Alte nicht mehr aus und schickte mich zum Versehrten. Der wusste gleich, was Sache war, und gab mir einen mit Benzin getränkten Lappen: ich solle ein Stück Schrott von Schlamm, Rost und Ölfarbe befreien. Nach einer halben Stunde Arbeit war ich total fertig, es ließ sich nicht verbergen, dass ich mich lange Jahre nicht körperlich betätigt hatte. – Schura, – sagte ich, – lass uns eine rauchen. – Hier wird nicht geraucht, – antwortete Schura, – ist doch ne Tanke. Also gut, – sagte er nach einer Weile, – ruh dich ein bisschen aus und komm dann wieder. So machte ich es auch.
    *
    Gegen Mittag wurde das Telefon wieder angestellt. Ich rief Bolik an. Seine Stimme klang dumpf und gereizt.
    – Hermann, – schrie er. – Wie geht’s dir dort draußen?
    – Alles klar, – antwortete ich. – Wie im Ferienlager. Der Fluss gleich nebenan. Man kann Hechte angeln.
    – Hermann! – Bolik schrie, um zu mir durchzudringen. – Was für Hechte? Scheiße noch mal. Was für Hechte, Hermann? Diese Woche haben wir Wahlversammlung und müssen Bericht erstatten, Hermann. Und, fuck, nix ist fertig, Kumpel. Und überhaupt brauchen wir dich, geschäftlich. Wann kommst du?
    – Genau, Borja! – schrie ich zurück. – Genau darüber wollte ich mit dir reden! Ich bleibe noch ein paar Tage.
    – Was, Harry? Was hast du gesagt?
    – Ich bleibe noch, habe ich gesagt!
    – Was heißt das – du bleibst noch? Für wie lange?
    – Höchstens eine Woche, länger nicht.
    – Hermann, – plötzlich wurde Boliks Stimme ernst. – Alles klar bei dir? Vielleicht können wir dir irgendwie helfen?
    – Quatsch, – sagte ich so unverfänglich und überzeugend wie möglich. – Entspann dich. Nächste Woche bin ich wieder da.
    – Du bleibst doch nicht für immer, oder? – Boliks Stimme klang irgendwie besorgt oder misstrauisch, vielleicht aber auch hoffnungsvoll.
    – Nein, natürlich nicht.
    – Hermann, ich kenn dich doch.
    – Na

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