Die Erfindung des Jazz im Donbass
Tisch, heiße rollende Alkoholwellen im Kopf, als renne man ins nächtliche Meer, eine schwarze, bittersüße Welle schlägt über dir zusammen, und erwachsener rennst du ans Ufer zurück. Kisten voller Schnapsflaschen, ein endloser Tisch, an dem sich alle vermischen, die du kennst, laute, abstoßende Musik, draußen dunkelblaue, feuchte Dämmerung, regennasse Bäume, Stimmen, die zusammenfließen und an Regen erinnern, Gespräche zwischen Männern und Frauen, das Gefühl des Zusammenbruchs, der irgendwo nebenan beginnt, von wo heiße, unerträgliche Luft herüberweht, die den Mut erstickt und die Pupillen weitet, das unterschwellige Gefühl der unsichtbaren Venen, durch die das Blut dieser Welt fließt, und plötzlich, inmitten des ganzen goldenen Flimmerns, explodiert die Scheibe, und Millionen kristallener Splitter stauben durch die Luft – einer der Woroschilowgrader hatte unsere Feier beobachtet und einen Ziegelstein ins Restaurantfenster geschmissen, das sofort zu Bruch ging, die dunkelblaue Nacht drang in den Saal, ernüchterte die Köpfe und kühlte das Blut. Und dann, nach kurzem Schweigen, allgemeine Bewegung, Wut in den Stimmen, Kühnheit, die uns alle ergriffen hatte, lärmendes Hinausstürmen durch die Tür und durch das zerborstene Fenster, das Trappeln unserer Schuhe auf dem nassen Asphalt, weiße Hemden, die in die dichte Nacht eilen und von dort leuchten, weibliche Gestalten am Fenster, die angespannt in die Finsternis starren. Mafiosi und Kooperativniks, Fußballer und Kleinkriminelle aus dem neuen Stadtteil – sie alle verteilen sich in der Dunkelheit und durchkämmen das Brachland, das hinter dem Park beginnt, treiben das unsichtbare Opfer zum Fluss, lassen es nicht entschlüpfen, eine seltsame Jagd, feurig und freudig, keiner will zurückbleiben, jeder blickt aufmerksam in die Schwärze des Sommers, beugt sich zur Erde, versucht, den Feind zu erspähen, über dem Fluss brennen weit entfernt elektrische Lampen, als würden sich im Gras gelbgrüne Sonnen verbergen, die wir aufscheuchen wollen, um die Dunkelheit zu vertreiben, die dickflüssig ist wie Blut und sich an unserem Atem wärmt wie an Ottomotoren.
4
In dieser Nacht schlief er tief und ruhig, als ob jemand Träume durch ihn laufen ließe. Sie rollten durch ihn hindurch wie mit Waren beladene Waggons durch einen Rangierbahnhof, und wie der Bahnhofsvorsteher schaute er sich einen nach dem anderen an, weswegen er konzentriert und verantwortungsvoll aussah. Er schlief draußen, in seinem geliebten Schleudersitz, wo er gestern bei Einbruch der Nacht die Vitamine geschluckt hatte. Ich holte aus dem Bauwagen einen alten Soldatenmantel und deckte ihn zu, trotzdem wurde ich nachts ein paar Mal wach und ging nachsehen, ob alles in Ordnung war mit ihm. Zu seinen Füßen schliefen heimatlose Hunde, die von der Landstraße gekommen waren. Der Wind trieb Papiertüten über den nächtlichen Asphalt. Auf seinen Schultern landeten Vögel, Ameisen krochen in seine geöffneten Hände und leckten ihm die roten Vitaminflecken von der Haut. Im Laufe der Nacht zogen die letzten Wolken in nördliche Richtung ab, die Sterne traten an den Himmel und das Wetter erinnerte wieder daran, dass es Anfang Juni war. Der Juni verging in dieser Gegend schnell und intensiv – die Stengel füllten sich mit bitterem Saft, das Laub wurde rau wie frostige Haut. Von Tag zu Tag gab es mehr Staub und Sand, der in Schuhe und Kleiderfalten drang, zwischen den Zähnen knirschte und aus den Haaren rieselte. Im Juni erwärmte sich die Luft wie das Innere eines Militärzeltes, es begann die warme Zeit träger Männer auf den Straßen und lärmender Kinder in den Gewässern. Gleich früh morgens war klar, dass man sich auf einen heißen Sommer würde einstellen müssen, der unendlich dauern und alles, was ihm unterkäme, versengen würde, einschließlich Haut und Haaren. Und nicht mal der Sommerregen würde Rettung bringen.
Kotscha brauchte lange, um wach zu werden, er fühlte sich niedergeschlagen wie ein Kind, das mit den Eltern aufstehen muss, die auf dem Sprung zur Arbeit sind und drängen, dass man sich für die Schule fertig macht. Endlich erhob er sich, schlenderte hinüber zur Werkstatt, fütterte die Hunde mit Schwarzbrot, schaute nachdenklich ins Tal und machte sich schließlich daran, mich zu wecken. Setzte sich auf die zweite Couch, erzählte mir lang und breit irgendwelche zusammenhanglosen Zufallsgeschichten über seine Exfrau, kramte Postkarten hervor, fand unter
Weitere Kostenlose Bücher